Einem Taufkinde

[253] (Mit Reliquien von mehreren der h. 12 Apostel.)


»Geht hin in alle Welt und lehret

Die Völker, die im Dunkeln gehn.

Sagt laut, was ihr durch Mich gehöret,

Bezeugt, was ihr von Mir gesehn.«


»Tauft sie in des Dreieinen Namen,

Macht ihnen Meinen Bund bekannt

Und streut der Christentugend Samen

In jedes fruchtbar weiche Land.«


Dies und noch viele hohe Worte

Sprach unser Herr zur Jüngerschaar,

Als Er des Todes dunkler Pforte

Zum Licht der Welt erstanden war.
[254]

Dann ließ der treue Hirt die Heerde

Und ging hinauf zum ew'gen Licht.

Sie sah'n nun auf der weiten Erde

Fortan den treuen Führer nicht.


Da war ihr Lieben, ihr Verlangen

Von dieser Welt hinweggekehrt;

Da sind sie treulich hingegangen

Und haben alle Welt gelehrt.


Und haben ihres Wortes Wahrheit

Bezeugt durch Wunder, Qual und Tod.

Noch zeigt den Weg zur ew'gen Klarheit

Uns ihres Blutes Morgenroth.


Drum laßt uns ihren Staub noch ehren

Und achtsam auf ihr Beispiel sehn

Und treu nach ihren heil'gen Lehren

Den steilen Pfad zur Heimath gehn.


Und laßt uns ringen, wie sie rangen,

Nur trachtend nach dem ew'gen Licht,

Und nicht mehr an der Erde hangen

Und ihre Leiden fürchten nicht;
[255]

Und wenn uns winken ihre Freuden,

Nur treu und fest auf Jesum sehn

Und gern für Ihn durch Kampf und Leiden,

Wie Seine heil'gen Zwölfe gehn. –


Und Du, mein Kind, das Gott gegeben,

Du kleiner Pilger, sei gegrüßt!

Geh' hin durch dieses Prüfungsleben,

Freu' Dich und leide als ein Christ!


Dich hat der gute Herr gegeben

Jetzt, wo Er so viel Blumen giebt.

Willkommen denn, Du süßes Leben!

Du kommst vom Vater, der uns liebt.


Sei mir gesegnet, zarte Blüthe,

Die einst – ich hoffe – Frucht erwirbt! –

Daß Gott Dich vor dem Wurm behüte,

Der hier so manchen Keim verdirbt!


Düsseldorf, 1820.


Quelle:
Louise Hensel: Lieder. Paderborn 41879, S. 253-256.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Lieder (Ausgabe von 1879)
Lieder: Ausgabe von 1879
Lieder aus dem Nachlaß

Buchempfehlung

Gryphius, Andreas

Catharina von Georgien

Catharina von Georgien

Das Trauerspiel erzählt den letzten Tag im Leben der Königin von Georgien, die 1624 nach Jahren in der Gefangenschaft des persischen Schah Abbas gefoltert und schließlich verbrannt wird, da sie seine Liebe, das Eheangebot und damit die Krone Persiens aus Treue zu ihrem ermordeten Mann ausschlägt. Gryphius sieht in seiner Tragödie kein Geschichtsdrama, sondern ein Lehrstück »unaussprechlicher Beständigkeit«.

94 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon