[250] Bay View, 12. August 1900.
Alte Briefe der Belagerten treffen jetzt allmählich in Tientsin ein und werden in den Zeitungstelegrammen veröffentlicht. Sie sind von Boten gebracht worden, chinesischen Christen, denen es gelang, durch die Schleusen, oder selbst als Boxer verkleidet, im Gedränge heimlich aus Peking zu entweichen. Wahre Notschreie sind es, bei denen das Herz sich zusammenkrampft! Und immer dieselbe Bitte »rasche Hilfe, sonst kann sie nichts mehr nützen.«
In manchen der kleinen Zettel ist angegeben, für wie viel Tage der Proviant noch reichen könne,[250] und man rechnet rasch nach – und oft ist die Frist schon überschritten.
Eine Zahl enthalten die Briefe auch immer – die der Toten.
Und wie sie mit jedem neueren Briefe wächst, diese Zahl derjenigen, für die alle Hilfe zu spät kommen wird!
Und die Angst – wer ist schon mitgezählt worden? Wen wird das Los noch treffen?
Frühestens am 14. sagt man hier, können die Entsatztruppen in Peking sein. Die ganze Welt ist erstaunt über ihr rasches Vordringen – und meiner Ungeduld dünkt es noch immer so langsam! Flügel möchte ich ihnen geben!
Eine so namenlose Angst erfüllt mich gerade vor diesen letzten Tagen und Stunden.
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe, die ihn nicht erreichten
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