Die Vorstadt

In ihrem Viertel, in dem Gassenkot,

Wo sich der große Mond durch Dünste drängt,

Und sinkend an dem niedern Himmel hängt,

Ein ungeheurer Schädel, weiß und tot,


Da sitzen sie die warme Sommernacht

Vor ihrer Höhlen schwarzer Unterwelt,

Im Lumpenzeuge, das vor Staub zerfällt

Und aufgeblähte Leiber sehen macht.


Hier klafft ein Maul, das zahnlos auf sich reißt.

Hier hebt sich zweier Arme schwarzer Stumpf.

Ein Irrer lallt die hohlen Lieder dumpf,

Wo hockt ein Greis, des Schädel Aussatz weißt.


Es spielen Kinder, denen früh man brach

Die Gliederchen. Sie springen an den Krücken

Wie Flöhe weit und humpeln voll Entzücken

Um einen Pfennig einem Fremden nach.


Aus einem Keller kommt ein Fischgeruch,

Wo Bettler starren auf die Gräten böse.

Sie füttern einen Blinden mit Gekröse.

Er speit es auf das schwarze Hemdentuch.


Bei alten Weibern löschen ihre Lust

Die Greise unten, trüb im Lampenschimmer,

Aus morschen Wiegen schallt das Schreien immer

Der magren Kinder nach der welken Brust.
[133]

Ein Blinder dreht auf schwarzem, großem Bette

Den Leierkasten zu der Carmagnole,

Die tanzt ein Lahmer mit verbundener Sohle.

Hell klappert in der Hand die Kastagnette.


Uraltes Volk schwankt aus den tiefen Löchern,

An ihre Stirn Laternen vorgebunden.

Bergmännern gleich, die alten Vagabunden.

Um einen Stock die Hände, dürr und knöchern.


Auf Morgen geht's. Die hellen Glöckchen wimmern

Zur Armesündermette durch die Nacht.

Ein Tor geht auf. In seinem Dunkel schimmern

Eunuchenköpfe, faltig und verwacht.


Vor steilen Stufen schwankt des Wirtes Fahne,

Ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen.

Man sieht die Schläfer ruhn, wo sie gebrochen

Um sich herum die höllischen Arkane.


Am Mauertor, in Krüppeleitelkeit

Bläht sich ein Zwerg in rotem Seidenrocke,

Er schaut hinauf zur grünen Himmelsglocke,

Wo lautlos ziehn die Meteore weit.
[134]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 127-128,133-135.
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