Sechste Scene.


[444] Vorige. Weber tritt ein. Dann Rose und die Mutter.


WEBER.

Ein Frauenzimmer will zum Herrn Major.

GNEISENAU.

Wer?

WEBER.

Rose nennt sie sich. Sie thut, als sei es

Ihr sehr pressant. 's ist auch 'ne Alte bei ihr,

Zu der sie Mutter sagt.

NETTELBECK.

Herr meines Lebens!

Die Weiber! Früh um fünf –

GNEISENAU.

Führ sie herein.


Weber hat die Thür geöffnet. Rose und ihre Mutter treten ein.


GNEISENAU.

Was führt Sie zu mir? Meine Zeit ist kostbar.

In wenig Augenblicken wird der Kriegsrath

Sich hier versammeln.

MUTTER.

Sprich doch! rede, Kind!

Mir stockt das Wort vor Jammer in der Kehle.

Ach, da ist der Gevatter –[444]

GNEISENAU.

Kommen Sie

Zur Sache, wenn's beliebt.

ROSE vortretend.

Herr Commandant,

Man sagt, der Spruch des Kriegsgerichtes sei

Gefällt und zwar – auf Tod.

GNEISENAU.

So fordert es

Das Kriegsgesetz. Wer sich dem Commandanten

Mit Waffen widersetzt, der wird erschossen.

MUTTER.

Mein Sohn, mein Sohn!


Sinkt auf eine Bank, verhüllt das Gesicht.


GNEISENAU.

Wir waren zur Begnad'gung sehr geneigt

Um seiner Jugend willen und des Dienstes,

Den seine Schwester dieser Stadt gethan.

Doch leider schnitt der Arrestant uns selbst

Den Weg zur Milde ab durch starren Trotz.

Er könne, sagt' er, nicht die That bereuen,

Und käm' er frei, würd' er von Neuem nur

Auf Mittel sinnen, seine Vaterstadt

Vor ihrem ärgsten Feind, vor mir, zu schützen.

NETTELBECK.

Verwünschter Eisenkopf!

MUTTER.

Ach, laßt mich zu ihm!

Er muß sich geben, muß die Mutter hören!

GNEISENAU.

Weber!

WEBER.

Befehlen, Herr Major!


Gneisenau sagt ihm ein Wort ins Ohr. Weber geht hinaus.


GNEISENAU.

Es thut

Mir herzlich leid. Doch wie die Dinge stehn –[445]

ROSE.

Wir sind nicht hier, Herr Commandant, mit Klagen

Und Thränen Sie zu rühren. Nur das Eine

Erbitten wir: o gönnen Sie uns Aufschub,

Bis ich die güt'ge Kön'gin angefleht,

Ihr Fürwort einzulegen. Ich versprach ihr,

In ernster Lebensnoth sie anzurufen.

Wenn Sie durch strenge Pflicht gebunden sind –

Des Königs Gnade kann Sie dieser Pflicht

Entbinden und die schwerste Schuld verzeihn.

Ach, Herr Major, er ist so jung; er hat

Noch viele Jahre vor sich, seine That

Verabscheu'n und bereu'n zu lernen!


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 444-446.
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