Neunte Scene.


[448] Vorige. Ohne die Frauen. Zur Linken im Halbkreis die Offiziere; rechts die Bürger. Gneisenau in der Mitte am Tisch stehend; Nettelbeck ganz vorn zur Rechten.


GNEISENAU.

Vom Hauptquartier des Feinds ward mir so eben

Ein Schreiben überbracht, von dessen Inhalt

Ich Sie in Kenntniß setzen muß. So schreibt

Der Gen'ral Loison:


Lies't.


»Unter Colberg, den 1. Julius 1807. Herr Gouverneur! Sie haben für Ihren Oberherrn, für den Ruhm seiner Waffen und für Ihren eigenen Alles gethan, was ein tapferer Mann an der Spitze tapferer Leute zur Verteidigung der Festung Colberg thun konnte. Ihrerseits haben die Einwohner der Stadt durch ihre Entbehrungen und zahlreichen Opfer Beweise ihrer Hingebung geliefert. Die Stellung des französischen Heeres, welches auf allen Punkten siegreich, Danzig, Königsberg u.s.w. besitzt, läßt keine Hoffnung auf Hülfe. – – Sie haben eine zu tiefe Kenntniß des Krieges, Herr Gouverneur, um nicht einzusehen, daß Ihre Vertheidigung sich nur um einige Tage verlängern könnte – –«

Um wie viel Tage wohl, Herr Hauptmann Steinmetz?

STEINMETZ.

Fünf oder sechs, Herr Kommandant, – gesetzt,

Daß es dem Feinde nicht gelingt, die Werke

Der Ueberschwemmung früher zu zerstören.

Dann reichten unsre Batterien nicht aus,

Ihn auch nach Süden hin in Schach zu halten.

GNEISENAU.

Wer steht am Schleusenthor?[448]

STEINMETZ.

Das Bataillon

Neumark.

NETTELBECK.

Und eine halbe Bürgercompagnie.

GNEISENAU.

's ist gut. Ich fahre fort:

– »um einige Tage sich verlängern könnte. Ich ersuche Sie daher, mir den Platz zu übergeben. Ich biete Ihnen die ehrenvollen Bedingungen an, welche Ihre schöne Vertheidigung mit Recht verdient, – – späterhin würde ich nicht mehr dieselben Vortheile bewilligen können. Dann, Herr Gouverneur, würden Sie sich vorwerfen müssen, durch einen unnützen Widerstand die Zerstörung der Stadt Colberg herbeigeführt, den Untergang friedlicher Einwohner und einer tapfern Besatzung verschuldet zu haben, die Sie Ihrem Oberherrn und dem Lande erhalten konnten. Ich habe die Ehre u.s.w.« Faltet den Brief wieder zusammen und legt ihn auf den Tisch.

NETTELBECK zu Würges.

Nun meiner Treu', ein höflicher Versucher!

GNEISENAU.

Ich wende mich nunmehr zuerst an Sie,

Meine Herren Offiziere. Daß ich selbst

Den Fall der Stadt nicht überleben will,

Dafür verpfändet ich mein Ehrenwort.

Doch wer dem Vaterland und seinem König

In andrer Weise mehr zu nützen glaubt,

Der trete vor. Noch ist der Seeweg frei;

Ich werd' ihn ohne Tadel scheiden sehn.

Denn Stunden giebt's in der Geschichte, wo

An das Gewissen jedes Einzelnen

Die letzte Frage tritt und jedes Machtwort

Der Disciplin verstummt.


Pause. Gneisenau ist an den Tisch getreten und blättert in Papieren.


STEINMETZ.

Herr Commandant,

Im Auftrag –[449]

GNEISENAU.

Wessen?

STEINMETZ.

– Ihres Offiziercorps,

Dem sich die braven Truppen angeschlossen,

Hab' ich hier zu erklären, daß wir sämmtlich

Ausharren wollen bis zum letzten Mann

Wir wissen, Rettung ist nicht mehr zu hoffen,

Doch auf dem Ehrenschilde der Armee

Sind leider böse Flecken auszutilgen,

Und uns zu Glück und Ehre schätzen wir's,

Wenn unser Blut hiezu gewürdigt wird.

Dies haben wir, schon als die Nachricht kam

Von Danzig's Fall, in allen Compagnien

Mit Handschlag uns gelobt, dies woll'n wir halten

Un treu zu unserm braven Führer stehn.

GNEISENAU.

Ist dies die Meinung auch des Schill'schen Corps?

BRÜNNOW.

Ich hoffe, diese Frage, Herr Major,

Schließt keinen Zweifel ein.

GNEISENAU.

So dank' ich Ihnen,

Daß Sie von Ihrer Pflicht so würdig denken.

Ich hatt' es anders nicht erwartet. Bringen

Sie auch der tapfern Mannschaft meinen Dank!


Reicht Steinmetz die Hand.


Und jetzt


Sich zu den Bürgern wendend.


ein Wort zu Ihnen, meine Freunde.

Sie wissen, welches Loos der Stadt verhängt ist,

Doch hoff' ich wohl, vom Feind mir eine Frist

Noch auszuwirken, daß die Bürgerschaft

Mit Weib und Kind und ihrer besten Habe

Zu Schiffe sich nach England retten kann.

Sie lassen uns die leere Stadt zurück,

Und scheidend nehmen Sie die Hoffnung mit sich,[450]

Dereinst ein neues Colberg aufzubauen

In glücklicheren Tagen.


Pause.


NETTELBECK.

Herr Major,

Ist es erlaubt –

GNEISENAU.

Nein, Nettelbeck, Ihr werdet

Noch schweigen. Ihr habt weder Weib noch Kind

Und seid zu rasch, das Leben wegzuwerfen.

Ihr sollt mir nicht die Andern überrumpeln,

Daß sie beschließen, was hernach sie reut.

Herr Schröder, sprechen Sie: in wie viel Stunden

Getrau'n Sie sich den Auszug auf die Schiffe

Ins Werk zu setzen?

SCHRÖDER.

Bis zum Nachmittag,

Herr Commandant. Die Waaren, zwar, die uns

In Speichern und Gewölben aufgestapelt –

NETTELBECK halb für sich.

Ich halte mich nicht mehr!

GNEISENAU.

Bleibt ruhig, Alter! –

Nun wohl! Herr Rathsherr Grüneberg, Sie werden

Am Hafen sorgen, daß die Einschiffung

In Ordnung vor sich geh', unnützer Kram,

Womit die Weiber gern sich überladen,

Den Platz an Bord den Menschen nicht verenge.

GRÜNEBERG.

Ich, Herr Major? Nein, mit Verlaub, ich habe

Was Wichtigeres vor.

GNEISENAU.

So wend' ich mich

An Sie, Herr Zimmermeister Geertz. – Sie schweigen?

ZIPFEL vortretend.

Herr Commandant, ich hätte wol ein Wort

In meinem und in meiner Freunde Namen –[451]

GNEISENAU.

Ich bitte nur, sich kurz zu fassen.

WÜRGES zu Nettelbeck.

Daß dich!

Nun schnackt uns noch der alte Heide drein.

ZIPFEL.

Ich werde kurz sein; brevis esse studeo.

Als nämlich Xerxes, Persiens großer König,

Von Norden einbrach gegen Griechenland,

Sein Heer so groß, daß, wenn sie Lanzen warfen,

Die Sonn' am Mittag davon dunkel ward,

Wie von Gewitterwolken –

GNEISENAU.

Sparen Sie

Den rednerischen Schmuck; zur Sache, bitt' ich!

ZIPFEL.

Ich bin schon mitten drin. Denn, Freund' und Nachbarn,

So groß war Persiens Macht, daß es den Klugen

In Griechenland als eine Thorheit schien,

Noch Widerstand und Abwehr zu versuchen.

Allein zum Glück, nicht Alle waren klug.

Die Mehrzahl sprach in ihrer schlichten Einfalt:

Er kommt, uns unser Vaterland zu rauben,

Den Fuß will er auf unsern Nacken setzen,

Und eh wir das erdulden, lieber Tod!

So sprach das kleine Griechenvolk. Und seht,

Da war ein Engpaß in dem Nordgebirg,

Thermopylä geheißen, ist verdolmetscht:

Die Warmbrunnpforten. Diesen Paß gedacht'

Ein Häuflein wackrer Männer zu besetzen,

Weil Wen'ge Großes hier vermochten. Nun,

Das thaten sie, und Sparta's Held und König,

Leonidas, vertheidigte den Paß

Drei Tage lang. Am vierten, als die Perser

Schon müde wurden, fand sich ein Verräther,

Dem König Xerxes einen steilen Saumpfad

Zu zeigen über des Gebirges Grat.[452]

Den gingen Nachts die persischen Bogenschützen

Und fielen so die Schaar vom Rücken an.

Die aber, die spartanischen Heldenseelen,

Dreihundert kaum, anstatt hinwegzufliehn,

Sie flochten wie zum Fest ihr langes Haar

Und fielen, ihre heimischen Götter preisend,

Ein lorbeernwerthes Opfer, Mann für Mann.

Als Xerxes das vernahm, erschrak sein Herz

Und ahnt' ihm Böses. Als durch Griechenland

Die Kunde flog, da in der höchsten Noth

Erjauchzten Alle, und der Muth, der schon

Zu sinken drohte, mächtig flammt' er auf,

Und Sieg auf Sieg entsproß aus diesem Opfer,

Bis Persiens Uebermacht zu Boden lag.


Pause.


SCHRÖDER.

Was soll das hier? Wenn Ihr nur sagen wollt,

Daß unser Kommandant und seine Truppen –

ZIPFEL in groß ansehend.

Nicht doch, Herr Nachbar! Ihr versteht mich falsch.

Auf etwas Andres hab' ich hingezielt.

Nämlich: im alten Griechenland, da gab's

Bekanntlich weder Bürger noch Soldaten,

Da gab es nur ein Volk, das hatte nicht

Zweierlei Tuch und zweierlei Gesinnung.

Das wußte, wenn das Vaterland bedroht ist,

Hat Jedermann sein Letztes einzusetzen.

Da war kein einzler, auserwählter Stand,

Der sich allein die Ehr' anmaßen durfte,

Pro patria zu sterben. Die Spartaner,

Die ruhmvoll bei Thermopylä gefallen,

Die waren gute Bürger, so wie wir,

Die hatten Weib und Kind und Haus und Gut

Und auch genug der Schiffe, sich zu retten.

Sie aber blieben. Denn dem Feind genüber

War Jedermann Soldat und hielt sein Blut

Zu kostbar nicht, die Freiheit zu erkaufen.

Nun, meine Freund' und Nachbarn, die Moral[453]

Ist klar genug. Ich denk', der Herr Major

Versteht mich auch. Dixi et animam

Salvavi!

NETTELBECK ausbrechend.

Das war wie ein Mann gesprochen;

Das soll Euch unvergessen sein!

GRÜNEBERG.

Ja wohl,

Der Rector sprach uns Allen aus der Seele.

Die Frau'n und Kinder soll'n zu Schiffe gehn,

Wer eine Waffe führt, bezieht den Wall!

GEERTZ.

Auf unserm Bürgereide woll'n wir stehn

Und fallen, wenn es sein muß!

DIE ANDERN.

Ja, das woll'n wir!

GNEISENAU seine Bewegung bemeisternd.

Ich habe keine Worte, meine Freunde,

Euch jetzt zu danken. Dieser Händedruck –


Reicht dem Rector die Hand.


Nein, kommen Sie an meine Brust!


Umarmt ihn.


Ich nehme

Das Opfer, das Sie bieten, freudig an.

Das Land, wo Mannessinn sich so bewährt,

Ist wahrlich nicht verloren. Ja, vom Volk,

Das ohne Unterschied des Kleids und Standes

Sein Alles einsetzt, kommt uns einst das Heil.

An dieser Macht, die aus den tiefsten Quellen

Hervorbricht unaufhaltsam, wird der Trotz,

Der freche, des Eroberers zu Schanden.

Er fordre jede andre Macht heraus,

Nur diese nicht; denn diese Volkesstimme

Ist Gottesstimme, die, früh oder spät

Den eitlen Lärm des Ruhmes übertönt

Und jenem Stolzen zuruft: du bist Staub!

Dann wird sein unermeßlich Glück zerstieben,

Wie jenes Perserkönigs, und die Nacht[454]

Verschlingt das schreckenvolle Meteor!

Dann wird man im befreiten Vaterland

Auch Derer denken, die sich unerschüttert

Die Bahn gebrochenen der Dämmerung

Und ihre Treue mit dem Tod besiegelt! –

Gehn Sie nun Alle! Nehmen Sie noch Abschied,

Bestellen Sie Ihr Haus und retten Sie

Die Zukunft Ihrer Kinder. Ich indessen

Will ungesäumt dem Feind die Antwort schreiben.


Er setzt sich an den Tisch, während einige Bürger und Offiziere das Gemach verlassen.


WEBER vortretend.

Was, Herr Major, soll mit dem Arrestanten –

GNEISENAU schreibend, ohne aufzublicken.

Du bringst ihn auf ein Schiff und sorgst dafür,

Daß er so lang bewacht wird, bis der Schiffer

Die See gewonnen hat. Dann sei er frei

Und nehme seine Strafe mit: zu leben,

Der einz'ge Mann aus Colberg, der den Fall

Der Festung überlebt.

HEINRICH vorstürzend.

Herr Commandant –

GNEISENAU.

Dies wirst du pünktlich mir vollziehn.

HEINRICH.

Bevor Sie

Mich in die Schande stoßen, Herr Major,

O gönnen Sie noch einmal mir Gehör!

Denn wie im Spiegel hat mir diese Stunde

Mein wahres Bild gezeigt; so schuldbeladen

Erschein' ich mir, so tief verachtungswerth,

Daß ich den härtsten Tod mit Freuden litte,

Der fürchterlichen Selbstqual zu entfliehn.

O lassen Sie mich niederschießen, gleich,

Und fallend werd' ich Ihre Milde preisen.

Doch wenn Sie menschlich fühlen, können Sie[455]

Mich dieser lebenslangen Schmach nicht opfern.

Die Gnade, die ich wegstieß, knieend fleh' ich

Sie auf mein schuldig Haupt: o gönnen Sie

Dem Reuigen, sein Unrecht gutzumachen

Im Dienst der Stadt, da, wo das Angesicht

Des Tods am schreckenvollsten! Geben Sie

Mir eine That der Sühne –

GNEISENAU unterbrechend.

Junger Mann,

Die Ehre, für das Vaterland zu fallen,

Hast du verwirkt. Nichts mehr!

HEINRICH aufstehend.

Erbarmungslos?

So fordr' ich eine Kugel als mein Recht!

GNEISENAU.

Es bleibt bei dem, was ich gesagt. Wir haben

Das Pulver nöth'ger. – Weber!


Sagt ihm leise ein Wort.


WEBER.

Zu Befehl!

GNEISENAU.

Verstanden? Geh!

HEINRICH von Weber und den Wachen in die Mitte genommen, außer sich.

Nun denn, es giebt noch Mauern,

An denen man die Stirn zerschellen kann!


Er wird abgeführt, hinter ihm gehen die übrigen Offiziere und Bürger hinaus.


Quelle:
Paul Heyse: Gesammelte Werke. Band 10, Berlin 1872–1910, S. 448-456.
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