Fronleichnam

[89] Von Glockenschall, von Weihrauchduft umflossen,

Durchwogt die Straßen festliches Gepränge

Und lockt ringsum ein froh bewegt Gedränge

An alle Fenster, – deines bleibt geschlossen.


So hab auch ich der Träume bunte Menge,

Der Seele Inhalt, vor dir ausgegossen:

Du merktests kaum, da schwieg ich scheu-verdrossen,

Und leis verweht der Wind die leisen Klänge.


Nimm dich in acht: ein Tag ist schnell entschwunden,

Und leer und öde liegt die Straße wieder;

Nimm dich in acht: mir ahnt, es kommen Stunden,


Da du ersehnest die verschmähten Lieder:

Heut tönt dir, unbegehrt, vielstimmiger Reigen,

Wenn einst du sein begehrst, wird er dir schweigen.

Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 1: Gedichte, Dramen, Frankfurt a.M. 1979, S. 89-90.
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