[417] Antoinette und Neuhoff kommen rechts seitwärts der Treppe aus dem Wintergarten.
ANTOINETTE. Das war die Helen. War sie allein? Hat sie mich gesehen?
NEUHOFF. Ich glaube nicht. Aber was liegt daran? Jedenfalls haben Sie diesen Blick nicht zu fürchten.
ANTOINETTE. Ich fürcht mich vor ihr. Sooft ich an sie denk, glaub ich, daß mich wer angelogen hat. Gehen wir woanders hin, wir können nicht hier im Vestibül sitzen.
NEUHOFF. Beruhigen Sie sich. Kari Bühl ist fort. Ich habe soeben gesehen, wie er fortgegangen ist.
ANTOINETTE. Gerade jetzt im Augenblick?
NEUHOFF versteht, woran sie denkt. Er ist unbemerkt und unbegleitet fortgegangen.
ANTOINETTE. Wie?
NEUHOFF. Eine gewisse Person hat ihn nicht bis hierher begleitet und hat überhaupt in der letzten halben Stunde seines Hierseins nicht mit ihm gesprochen. Ich habe es festgestellt. Seien Sie ruhig.
ANTOINETTE. Er hat mir geschworen, er wird ihr adieu sagen für immer. Ich möcht ihr Gesicht sehen, dann wüßt ich –
NEUHOFF. Dieses Gesicht ist hart wie Stein. Bleiben Sie bei mir hier.
ANTOINETTE. Ich –
NEUHOFF. Ihr Gesicht ist entzückend. Andere Gesichter verstecken alles. Das Ihrige ist ein unaufhörliches Geständnis. Man könnte diesem Gesicht alles entreißen, was je in Ihnen vorgegangen ist.
ANTOINETTE. Man könnte? Vielleicht – wenn man einen Schatten von Recht dazu hätte.
NEUHOFF. Man nimmt das Recht dazu aus dem Moment. Sie sind eine Frau, eine wirkliche, entzückende Frau. Sie gehören keinem und jedem! Nein: Sie haben noch keinem gehört, Sie warten noch immer.
ANTOINETTE mit einem kleinen nervösen Lachen. Nicht auf Sie![417]
NEUHOFF. Ja, genau auf mich, das heißt auf den Mann, den Sie noch nicht kennen, auf den wirklichen Mann, auf Ritterlichkeit, auf Güte, die in der Kraft wurzelt. Denn die Karis haben Sie nur malträtiert, betrogen vom ersten bis zum letzten Augenblick, diese Sorte von Menschen ohne Güte, ohne Kern, ohne Nerv, ohne Loyalität! Diese Schmarotzer, denen ein Wesen wie Sie immer wieder und wieder in die Schlinge fällt, ungelohnt, unbedankt, unbeglückt, erniedrigt in ihrer zartesten Weiblichkeit!
Will ihre Hand ergreifen.
ANTOINETTE. Wie Sie sich echauffieren! Aber vor Ihnen bin ich sicher, Ihr kalter, wollender Verstand hebt ja den Kopf aus jedem Wort, das Sie reden. Ich hab nicht einmal Angst vor Ihnen. Ich – will Sie nicht!
NEUHOFF. Mein Verstand, ich haß ihn ja! Ich will ja erlöst sein von ihm, mich verlangt ja nichts anderes, als ihn bei Ihnen zu verlieren, süße kleine Antoinette! Er will ihre Hand nehmen.
Hechingen wird oben sichtbar, tritt aber gleich wieder zurück. Neuhoff hat ihn gesehen, nimmt ihre Hand nicht, ändert die Stellung und den Gesichtsausdruck.
ANTOINETTE. Ah, jetzt hab ich Sie durch und durch gesehen! Wie sich das jäh verändern kann in Ihrem Gesicht! Ich will Ihnen sagen, was jetzt passiert ist: jetzt ist oben die Helen vorbeigegangen, und in diesem Augenblick hab ich in Ihnen lesen können wie in einem offenen Buch. Dépit und Ohnmacht, Zorn, Scham und die Lust, mich zu kriegen – faute de mieux –, das alles war zugleich darin. Die Edine schimpft mit mir, daß ich komplizierte Bücher nicht lesen kann. Aber das war recht kompliziert, und ich habs doch lesen können in einem Nu. Geben Sie sich keine Müh mit mir. Ich mag nicht!
NEUHOFF beugt sich zu ihr. Du sollst wollen!
ANTOINETTE steht auf. Oho! Ich mag nicht! Ich mag nicht! Denn das, was da aus Ihren Augen hervorwill und mich in seine Gewalt kriegen will, aber nur will! – kann sein, daß das sehr männlich ist – aber ich mags nicht. Und wenn das Euer Bestes ist, so hat jede einzelne von uns, und wäre sie[418] die Gewöhnlichste, etwas in sich, das besser ist als Euer Bestes, und das gefeit ist gegen Euer Bestes durch ein bisserl eine Angst. Aber keine solche Angst, die einen schwindlig macht, sondern eine ganz nüchterne, ganz prosaische. Sie geht gegen die Treppe, bleibt noch einmal stehen. Verstehen Sie mich? Bin ich ganz deutlich? Ich fürcht mich vor Ihnen, aber nicht genug, das ist Ihr Pech. Adieu, Baron Neuhoff.
Neuhoff ist schnell nach dem Wintergarten abgegangen.
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