Zweite Szene

[515] BARONIN wie sie den General sieht, nickt ihm in guter Laune zu, indem sie mit dem Kopf hinter sich auf Theodor deutet. Er bleibt, er hat aus freien Stücken seine Kündigung zurückgenommen. Heute ist er wieder ganz der alte Theodor! Haben Sie seinen Gang bemerkt?

GENERAL. Das ist der gewisse Gang, den er hat, wenn er mit sich zufrieden ist! Darin liegt ja ein förmlicher Krampf von Hochmut!

BARONIN gegen die Bank hin. Eben. In diesem Augenblick habe ich sofort etwas mit ihm abgemacht. Sie wissen, daß mein Mann zu der Zeit, wie er noch Militärattaché in Konstantinopel war, den Theodor überall mitgenommen hat, nach Smyrna, nach Damaskus, ich weiß nicht, wohin noch!

GENERAL erschrocken. Amelie! Sie wollen wieder reisen?

BARONIN. Das glaub ich, und nicht mit einer idiotischen Jungfer, der ich auf allen Perrons das Handgepäck nachtragen muß und, wenn sie seekrank wird, den Kopf halten muß. Der Theodor ist ein idealer Reisemarschall, er kennt sich überall aus!

GENERAL. Amelie, ich habe es geahnt, daß Sie wieder reisen wollen.

BARONIN. Ich bin es satt, unter diesem ewigen Regenhimmel Neuralgie zu haben! Ich will noch einmal unter dieser goldenen Luft in einem hellen Kleid auf einer Hotelterrasse sitzen und Minaretts vor mir sehen!

GENERAL. Sie werden zwei, drei Monate wegbleiben?

BARONIN. Ein halbes Jahr hoffentlich!

GENERAL schüttelt traurig und resigniert den Kopf. Wie soll ich denn das aushalten? Steht auf.

BARONIN. Und wenn ich Ihnen sage, daß der Theodor selbst, ohne daß ich ein Wort davon gesagt hätte, den Gedanken aufs Tapet gebracht hat, wie es denn wäre, wenn Sie mir nach Smyrna oder Athen entgegenkämen?

GENERAL in jähem Umschwung zu kindlicher Freude. Ich darf Ihnen entgegenkommen?![515]

BARONIN mit großer Grazie. Wenn es Ihnen nicht zu unbequem ist, einen Schiffskoffer zu packen.

GENERAL außer sich vor Freude. Amelie! Plötzlich wieder betrübt. Ah, es war der Theodor, der das proponiert hat! Und Sie – –

BARONIN mit Grazie und Ernst. Ado, ohne Sie wäre ich doch die gewisse alte Person, die in Kurorten und Hotels einsam und mürrisch dasitzt und von der niemand begreift, wozu sie noch auf der Welt ist! Sie reicht ihm die Hand zum Kusse.


General mit Tränen in den Augen, wie er sich über ihre Hand beugt und ihre Fingerspitzen küßt.


Quelle:
Hugo von Hofmannsthal: Gesammelte Werke in zehn Einzelbänden. Band 2–5: Dramen, Band 4, Frankfurt a.M. 1979, S. 515-516.
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