[45] [45] Was der bunte Vogel pfiff,
Fühle und begreif ich,
Liebe ist der Inbegriff,
Auf das Andre pfeif ich!
Wilhelm Busch[46]
Farbenfunkelnd in ihr Goldhaar hatte
Ein Libellenweibchen sich verirrt.
Eins – zwei – drei Sekunden liess es dort
Zierlich seine Flügelchen vibrieren,
Klappte sie dann schillernd wieder auf
Und?
Fragt das Schilfrohr, wo es dann geblieben!
Lächelnd über das naive Thierchen,
Das Frisuren noch für Blumen hielt,
Band sie jetzt ihr kugelrundes Sträusschen
Regelrecht mit einem Halm zusammen.
Blank aus ihrem kleinen Goldreif blitzte
In die schwarzen Augen ihr die Sonne,
Und auf ihrem weissen Nacken liess
Blau der Flieder seine Blüthen zittern.
So, jetzt noch dies Bündelchen Reseda,
Jetzt dies Veilchen, jetzt dies Tausendschönchen,
Und – der alte Gärtnerjakob soll sich wundern![47]
Sich ihr Morgenröckchen sorglich schürzend,
Dass der Thau nicht seinen Saum zernässe,
Strich sie sich noch einmal übers Schürzchen,
Stippte dann die Blumen in den Springquell,
Den der Löwenkopf ins Becken spie,
Und die beiden kleinen Atlasschühchen,
Knallroth wie zwei Herrgottskäferchen,
Trippelten, tripp-trapp, um die Bosketts
Durch das sonnige Kastanienwäldchen
Auf das alte, graue Schlossthor zu.
Doch der Weg bis dahin ist noch weit.
So weit, dass das weisse Thürmchen dort
Nur noch wie ein Punkt durch die Allee blitzt.
Und sie spitzt ihr kirschrothrundes Mäulchen,
Dreht dem Faun, der marmorn sie durchs Buschwerk
Kollegialisch wie ein Nymphlein angrinst,
Resolut ein aufgewipptes Näschen,
Lacht laut auf und fängt ein altes Liedchen,
Das vielleicht mal ihrer Amme einfiel,
Als der Mondschein sie nicht schlafen liess,
Und das heut ihr wieder wie ein Schwälblein
Neckisch durch den kleinen, krausen Sinn schiesst,
Leise vor sich hinzusummen an:
»Ach wenn ich es doch nur wüsste, wüsste,
Wie ein Liebster seine Liebste küsste!«[48]
»Wölklein, das dort um das Tännlein flattert,
Vöglein, das dort um das Nestlein girrt,
Und du Bäumlein, das so weiss dort blüht,
Sag mir doch, wo schlägt das Herz des Frühlings?
Flötet es die Nachtigall ins Mondlicht,
Wiegt's der Apfelbaum in seinen Blüthen,
Oder jauchzt's mir in der eignen Brust?
Ach, wenn ich es doch nur wüsste, wüsste,
Wie ein Liebster seine ....« doch das Liedlein
Blieb erschreckt in ihrem Hälslein stecken!
Lachend bog er eben um die Linde,
Die so schrecklich indiskret und breit ist,
Nahm sie fest in seine beiden Arme,
Dass die Blumen kichernd aus dem Körbchen
Und das Körbchen in die Blumen fiel,
Und – sie wussten, wo des Frühlings Herz schlägt![49]
Ausgewählte Ausgaben von
Buch der Zeit
|
Buchempfehlung
Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«
242 Seiten, 11.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro