Präludium

[293] [293] Kräht der Hahn auf dem Mist,

Aendert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.

Alte Bauernregel[294]


Dieses lachende Präludium,

Lachend sei es dedicirt

Euch, ihr wohlverbohrten Ritter

Vom romantisch blauen Strumpfband

Und vom klassischen Kothurn.


Euch und allen andern windgen,

Hyperschlauen Kritifatzkis,

Die, zum Zeichen, dass sie's lasen,

In dies saubre Exemplar

Eselsohren falzen werden.


Bitte sich nicht zu geniren,

Dass ich dies mein kleines Epos

Nicht gleich, zunft- und zopfgerecht,

Philologisch präludirte:

»Nenne mir den Mann, o Muse!«[295]


Armer klassischer College!


Streu, wie unser Grossohm Hiob

Asche Dir auf deine Platte,

Denn die Welt hat sich gedreht

Und mit Wolfgang Goethe starb

Längst der Letzte der Olympier.


Andre Zeiten, andre Lieder,

Andre Lieder, andre Menschen,

Und von Wien bis nach Paris

Fährt man heutzutag per Blitzzug

Noch nicht lumpge siebzehn Stunden.


Zwar ein Dichter, der wie ich

Schon von jeher kein Talent,

Und, getreu der goldnen Fahne,

Die mir roth zu Häupten flattert,

Zukunftsroth und gleichheitspredgend,

Warn ich meine Concurrenten

Vor der unsoliden Firma

Der Homer und Compagnie.


Ja, mein Herz, ich muss Dich seufzend,

Seufzend, wenn ich daran denke,

Dass auch ich ein Versfaiseur nur,

Oeffentlich hier denunciren:[296]


Dein Credit beginnt zu wanken,

Deine Curse stehen schlecht,

Und dein Renommee ward schartig

Wie ein schäbiger Cylinder.


Ach, es ist nur gar zu wahr,

Dein ambrosisch grüner Lorbeer

Fing mit Harold – Byron schon

Ganz bedenklich an zu welken,

Und in meinen Augen bist Du

Nur ein ganz profaner Mensch

Und als solcher wiederum

Nur der erste aller blinden

Bänkelsänger Griechenlands.


Ja, mein Hirn ist ein Rebell,

Und wie alle diese Leute,

Die auf Thron und Altar pfeifen,

Bläht es frech sich auf und pfeift auch

Auf das schulstaubtrockne Dogma

Klassischer Autorität


Immer noch durch unsre Köpfe

Taumeln schwarz bechapeauclacquet

Sich die Götter des Olymp,

Und wenn Rothschild mein Cousin wär,

Liessen heute noch die »Times«

Einen Aufruf los zur Gründung

Eines internationalen

Antimuseistenclubs.[297]


Hätte ein gewisser Herwegh,

Der ein grosser Demokrat

Und ein grössrer Dichter war,

Ihn nicht meuchlings schon verausgabt,

Hier an dieser schönen Stelle

Bräch ich aus in den Naturlaut:

»Raum, ihr Herrn, dem Flügelschlag

Einer freien Seele!«


Poesien für Pennäler

Sind bereits genug gedrechselt;

Siehe hier das Gros der Werke

Unsrer deutschen Dioskuren –

Nomina odiosa sunt!


Aber vollends lasst mich schweigen

Von den lächerlichen Grössen

Ihres lächerlichen Nachtrabs!


Graf von Platen war ihr Mogul,

Und die griechische Schablone

Rüpelte jahrzehntelang

Ihre längstversteinten Formen

Ueber jeden deutschen Quark.


O, ich hasse dies Gezücht

Phrasenschwammiger Banausen,

Das nach jedem Wort sich einen

Idealen Kloss ins Maul pfropft![298]


Aber ach, mein braves Deutschland

War ja leider das beliebte

Eldorado der Philister

Schon seit anno Tacitus!


Seit der alte Herr von Hutten,

Von der Meute seiner braven

Zeitgenössischen Philister

Wie ein Hirsch ins Holz gehetzt,

Auf der Ufenau verreckt ist,

Hat nur ein Mensch hier in Deutschland

Tabak, Bier und Kohl verdaut,

Der, bis in den Tod sich selbst treu,

Ein lebendiger Protest war

Gegen jedes lächerliche,

Knöcherne Schablonenthum.


Fern vom Rhein, wo er sein erstes

Kinderhöschenpaar zerrissen,

Fern in Frankreich liegt sein Grab,

Und von Immergrün umwoben

Schaut es hoch her vom Montmartre

Auf die Weltstadt an der Seine.


O, ich weiss, wie einst die Mitwelt

Vipernzüngig ihn begeifert;

Kann doch selber heutzutag noch

Ihm kein Dunkelmann vergessen,[299]

Dass sein rothes Dichterherz nicht

Pauvre wie ein pauvres Talglicht,

Sondern gross und welterleuchtend,

Golden wie die Sonne brannte.


Ach, die Lösung dieses Räthsels,

Das durchaus kein Phänomen,

Lässt sich leicht in Worte fassen:

Heinrich Heine war kein Stockfisch,

Heinrich Heine war ein Mensch!


Schellenfroh aus seinen Nestern,

Drin es lichtscheu sich verkrochen,

Schreckte er das nachtverliebte

Fledermausgezücht der Vorzeit,

Und sein blutender Messias

War das dreimal heilge Recht!


Ja, Hosianna! rief er jubelnd,

Seine Hymnen präludirten

Den Befreiungskrieg der Menschheit,

Und in seinem Herzen schliefen

Schon des neuen Weltprogramms

Goldne Zukunftsparagraphen.


Zwar sein armer Körper war

Abgemergelt wie ein Schatten,

Aber seine goldne Seele

Strotzte nur so von Gesundheit.[300]


Fern im lachenden Paris,

Eingepfercht in ihre graue,

Muffige Matratzengruft,

Rang sie singend wie ein Schwan

Jahrelang mit ihrem Tode,

Denn die Weltlust war ihr Spielzeug

Und ihr Liebling war das Meer.


Doch das Schwimmbassin des Nereus

War von jeher schon ein äusserst

Komplizirter Mechanismus.


Neben Perlen züchtet es

Auch noch ganz gemeine Schlangen.


Längst versoffne Seemannsprime

Wälzt es gleichfalls tief im Bauch rum,

Und die Traumwelt der Atlantis

Hart, bedeckt von Gold und Seetang,

Ihrer künftgen Auferstehung.


Um den Wendekreis des Krebses

Wälzt der Teifun vor sich her

Chinas räuberische Dschunken,

Und am Strand von Norderney

Baden Deutschlands Aphroditen

Ihre semmelblonden Glieder.


Ja, ein Künstler ist der Weltgeist

Und das Meer sein Meisterwerk![301]


Silbergrau durch seine rothen,

Brennenden Corallenwälder

Tummelt sich der flinke Stör,

Und versunkne Städte läuten

Oft aus seinen blauen Fluthen

Ihre träumerischen Glocken

Märchenhaft ins Abendroth.


Doch zur Zeit der Aequinoctien

Wird es hungrig wie ein Wärwolf,

Und die jungen Fischerfrauen

Schrein dann nächtlich oft im Traum auf.


Mit dem Herzen eines Dichters,

Der sein Lebtag nicht nur Thee soff,

Sondern manchmal auch frivol

Veritablen Rum hineingoss,

Ist es ähnlich meist bestellt.


Heine war ein solcher Dichter;

Und wenn dann und wann sein Magen,

Statt des oben schon erwähnten

Obligaten »Thees mit Rum«,

»Rum mit Thee« verconsumirte:

Nun, wer will ihm das verdenken?


Spucken mögen auf sein Grab

Dreimal alle alten Jungfern:

Heilig war ihm seine Liebe,

Heilig war ihm auch sein Hass![302]


Sein Geschlecht war ein erlauchtes,

Und die Blüthen seines Stammbaums

Sind die Sterne ihre Völker.


Aristophanes, der Grieche,

War sein vielgeliebter Ahnherr,

Miguel de Saavedra

Und der Doctor Rabelais

Waren gleichfalls seine Ahnen.


Doch wozu, o Publikum,

Geb ich heut, wo Dahn und Ebers

Siegreich mit mir concurriren,

Dir ein Privatissimum

In der Kunst der Langenweile?


Ach, die Werke jener Männer

Kennst Du kaum dem Namen nach,

Denn ein einzger Pattitriller

Gilt Dir mehr als tausend Mozarts.


Strickstrumpfflüchtig rettete

Vor dem Schreckregime der Trikots

Die Vernunft aus dem Theater

Sich ins Land der Botokuden,

Denn das neunzehnte Jahrhundert

Applaudirt wie ein Cretin

Nur Ballets und Operetten.[303]


Wer wird heut auch, wo der Golddurst

Wie ein Moloch sich gerirt,

Hamlet oder Faust studiren?


Lieber schluckt man Casanovas

Elegante Sauerein!


Ja, ein Lüstling ist der Zeitgeist,

Ein gealterter Roué,

Und in jedem neuen Buch,

Das ihm eine Kernnatur

Zornig lachend an den Kopf wirft,

Wittert er versteckte Zoten.


Seine alternde Maitresse,

Die Geborene von Welt,

Thut es selbstverständlich dito.


Jeden kantigen Charakter,

Der es lästerlich verschmäht

Honig ihr ums Maul zu schmieren,

Wühlt sie skeptisch um und um,

Wie's mit einem Stückchen Erde

Wohl nach Würmern thut ein Maulwurf.


Grosser Zeitgenosse Emile,

Dich auch, Dich hat sie verlästert,

Und der Shakespeare des Romans

Ward zum Dichter der Kloake.[304]


Doch was thut's? Wenn auch die alten

Weiber beiderlei Geschlechts

Prüde sich vor Dir bekreuzgen,

Dein Genie reckt seine Glieder,

Seine giftgeschwollnen Stichler

Fallen von ihm wie die Fliegen

Und sein Haupt ragt in die Wolken!


Zola, Jbsen, Leo Tolstoi,

Eine Welt liegt in den Worten,

Eine, die noch nicht verfault,

Eine, die noch kerngesund ist!


Klammert euch, ihr lieben Leutchen,

Klammert euch nur an die Schürze

Einer längst verlotterten,

Abgetakelten Aesthetik:

Unsre Welt ist nicht mehr klassisch,

Unsre Welt ist nicht romantisch,

Unsre Welt ist nur modern!


Und der Mensch, der sie mit tausend,

Abertausend Eisenarmen

Erdverlangend wild umschnürt hält,

Ist er gleichfalls nicht modern?


Glaubt er wirklich noch an eure

Abgedroschnen Ammenmärchen

Und dass schwarz soviel wie weiss

Und dass zwei mal zwei gleich fünf ist?[305]


Macht euch auf, ihr Neunmalweisen,

Schleicht euch nächtlich durch die Gassen,

Pilgert tags durch die Fabriken

Und den Denkern schaut ins Hirn!


Thut's und wagt es dann zu läugnen,

Dass der Mensch sich, den die Vorzeit

Wie ein Thier ins Joch geknutet,

Endlich sehnt, ein Mensch zu werden!


Ausgetreten hat der Träumer

Endlich seine Kinderschuhe,

Und vor seinen trunknen Blicken

Wiegt sich lachend wie ein Eiland,

Das das Weltmeer grün umschaukelt,

Seine märchenhafte Zukunft.


Durch die Wälder Kaliforniens

Schnüffelt wie ein Riesenwurm

Feuerschnaubend sich sein Dampfthier,

Und ums Cap der guten Hoffnung

Segeln seine Panzerschiffe.


Seine Telegraphendrähte

Ueberbrücken wie ein Wasser

Delhi's grüne Palmenwipfel,

Und durchs ewige Eis des Nordpols

Blitzen weisslich die Gebeine

Seiner neusten Märtyrer.[306]


Tausend goldne Sacramente,

Die Kleinodien seiner Kindheit,

Sind zersprungen wie ein Glas,

Und die alte, taube Nusswand

Einer abgelebten Kunstform

Sollte frech sie überdauern?


Deklamirt nur, ihr Poeten,

Eure lyrischen Tiraden,

Eure wortverbohrte Nichtswelt,

Mit euch selber geht sie unter!


Doch das thut nichts. Eine neue

Taucht schon lächelnd aus den Wassern,

Und die Wasser gehen schwanger

Noch mit hunderttausend andern.


Hätte dies mein kleines Carmen

Nicht so wohlgeschliffne Krallen,

Die so unbarmherzig spitz sind,

Ich verbräche sans façon

Folgende Apostrophe:


»Du, mein Lied, um das mein Herz

Lieblich klang wie eine Glocke,

Schwing Dich auf, mein goldner Liebling,

Schwing Dich auf wie eine Taube,

Bis die Wasser sich verlaufen![307]


Melancholisch um mein Haupt

Schwingt die urweltschwangre Sintflut

Ihre dunklen Rabenflügel,

Und durchs Schleusenmeer des Himmels

Brüllt noch immer das alte Chaos!


Ach, und doch! Durch mein Gehirn

Huscht es wie von goldnen Lichtern,

Und die eingelullte Sehnsucht

Nach den hängenden Gärten der Sonne

Wachte weinend wieder auf!


Hat mein Herzschlag mich betrogen?

Tauchen die ersten grünen Zacken

Jener heissersehnten Neuwelt,

Tauchen sie lächelnd endlich auf?


Eine Welt für einen Oelzweig!


Drum, mein Lied, um das mein Herz

Lieblich klang wie eine Glocke,

Schwing Dich auf, mein goldner Liebling,

Schwing Dich auf wie eine Taube,

Bis die Wasser sich verlaufen!«


Doch dergleichen wohlfrisirte

Taschenspielerstückchen sind mir

Gottseidank zu abgedroschen,

Und mein urwaldstruppig Lied

Ist nichts wenger als ein Täubchen![308]


Nein! Die föhnumbrüllten Trümmer

Eurer längst verkrachten Welt

Liess es sonnenfeuertrunken

Meertief unter sich versinken

Und verlor sich in den Himmel.


Flügelstolz, ein kleiner Kondor,

Schwebt's nun über seiner lieben,

Jungen Sonnenaufgangswelt,

Und zum Aerger aller griechisch

Radebrechenden Philister

Schmettert's dort wie eine Lerche

Uebermütig seinen Triller:


»Zola, Jbsen, Leo Tolstoi,

Eine Welt liegt in den Worten,

Eine, die noch nicht verfault,

Eine, die noch kerngesund ist!«


So! Bis hierher und nicht weiter!


Lachend rief ich's, und die Feder

Stiess ich tief ins Tintenfass.


Fern am Biertisch harrte schon

Das Trifolium meiner Freunde,

Und im Duftkreis einer braunen

Sobetitelten Havannah

Lässt sich's ja, wie jeder selbst weiss,

Ganz vortrefflich Hütten baun![309]


Selbstverständlich gab mein Opus,

Das ich lachend ihnen vortrug,

Stoff zu einer Diskussion.


Längst verrostete Gewaffen

Aus dem Rüstzeug der Aesthetik

Wurden wieder blank geputzt,

Und die köstlichsten Sophismen

Bissen wie die jungen Hechte

Sich vergnügt in ihren Schwanz.


Doch was half's! Am Ende gaben

Sie sich kleinlaut mir gefangen,

Und die schnurgerade Klassik

Fiel nicht minder glänzend durch

Als die winklige Romantik.


Nur zu meiner neuen Welt,

Zu dem neuen Evangelium,

Das aus Frankreich her und Russland

Unsrer Kunst gepredigt wird,

Konnten sie sich nicht bekehren,

Und das Kleeblatt opponirte

Gegen die Verherrlichung

Zola's, Jbsen's, Leo Tolstoi's.


»Wenn Du ihre Welt so lieb hast,«

Replicirten die drei Käuze,

»Nun, so tritt sie doch mit Füssen![310]


»Aus der Vogelperspektive

Sieht ein Düngerhaufen schliesslich

Aehnlich wie ein Weizenfeld aus.


Willst Du ihre goldnen Früchte,

Die wie Pomeranzen lachen,

Dir nicht einmal näher ansehn?


Ach, am Ende sind sie giftig,

Giftig wie die ganze Welt,

Die sie farbig überschaukeln?


Geh, Du bist ein Jünger Plato's,

So ein Wolkenkukuksheimer,

Und scharwenzelst um sie her,

Wie ein blöder Schmetterling,

Der um eine Rose tändelt!


Ergel, wenn Du wirklich auf Dein

Neues Evangelium« schwörst,

»Nun dann brocke Deine Verse

Nicht in seine Prosasuppe.


Schlängle klug mit dem Notizbuch,

Wie ein jüdischer Reporter,

Dich durchs Gassenmeer der Grossstadt

Und edire Jahr für Jahr,

Ein gedruckter Photograph,

Realistische Romane.[311]


Reime, Rhythmen und was sonst noch

Dich an Versen so entzückt,

Jene knappe Condensiertheit,

Die in Einem goldnen Lichtblitz

Tausend bunte Farben aufsaugt,

Musst Du dann als neuer Heiland

Selbstverständlich brüsk verläugnen.


Englands Hamlet, Deutschlands Faust

Und Altgriechenlands Prometheus –

Lächerlich, dass diese Leute

Verse, nichts als Verse schwabbeln!


Destillire Dir doch einmal

Die famose Quintessenz

Henrik Ibsenscher Kritik,

Der im Namen Deiner Gottheit,

Als ihr wohlbestallter Priester,

Schillers Jambendramen köpfte:

Blödsinn, nichts als höhrer Blödsinn!


Deine formverliebte Seele

Hat sich eben schon aus tausend

Goldgeformten Henkelkrügen

Gar zu heidnisch schön besoffen!


Hungre sie asketisch aus![312]


Verse thun's heut freilich nicht:

Prosa, Freundchen, platte Prosa!«


Ach, wie wohlfeil war euch Braven

Dieser gutgemeinte Spott!


Harmlos wie die jungen Bären

Lebt ihr euer Leben hin;

Auf die Quadratur des Cirkels

Habt ihr als verständge Leute

Philosophisch schon verzichtet,

Und ein schief getretner Stiefel

Bringt euch eher aus dem Häuschen,

Als das närrische Problem:

Dreht die Achse dieser Welt

Sich nach rechtshin oder linkshin?


Anders, wenn ein Homo sapiens

Nicht, wie ihr, nur Steuern zahlt,

Sondern, wie z.B. ich,

Nebenbei auch noch Poet ist.


Werden doch in seiner Brust

Feindlich stets zwei Seelen wohnen,

Und vielleicht just, wenn die eine

Strümpfe stopft und Hosen flickt,

Reimt die andere ihr erstes,

Tiefgefühltes Liebeslied.[313]


Zwar mein Kopf hat sich schon längst

Radikal emanzipirt;

Doch in meinem Herzen blühn noch

Alle Blumen der Romantik!


Kriechen soll ich, Freunde, kriechen,

Kriechen wie ein fader Wurm?


Schaut nur, wie die alten Wälder

Ihre grünen Häupter schütteln,

Und wie über sie die Sterne

Kreuzweis ihre Lichter werfen:

Ach, sie intoniren alle

Ein homerisches Gelächter!


Wem die Sonne dieser Gottwelt

Niemals bis ins Herz geschienen,

Mag sich in den Staub verlieben,

Doch wer Flügel hat, der fliege!


Weiss nicht, ob ich nicht noch einmal

Später, wenn ich alt und grau bin,

Mich ins Prosajoch bequeme.


Ach, die Zeit ist gar zu flüchtig,

Und wenn erst das Podagra

Uns moquant an Arm und Bein zwickt,

Macht die Jugend schmählich Pleite,

Und die goldnen Ideale

Drehen schnippisch uns den Rücken.[314]


Doch einstweilen dedicir ich

Dieses lachende Präludium

Euch, ihr wohlverbohrten Ritter

Vom romantisch blauen Strumpfband

Und vom klassischen Kothurn![315]


Quelle:
Arno Holz: Buch der Zeit. Berlin 21892, S. 293-317.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Buch der Zeit
Schönes, grünes, weiches Gras /Trawa zielona, mieekka, cudna: Gedichte aus
Buch Der Zeit: Lieder Eines Modernen (German Edition)

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon