Der Mutter Erde

Gesang der Brüder

Ottmar Hom Tello


Ottmar


Statt offner Gemeine sing ich Gesang.

So spielt, von erfreulichen Händen

Wie zum Versuche berühret, eine Saite

Von Anfang. Aber freudig ernster neigt

Bald über die Harfe

Der Meister das Haupt und die Töne

Bereiten sich ihm, und werden geflügelt,

So viele sie sind, und zusammen tönt es unter dem Schlage

Des Weckenden und voll, wie aus Meeren, schwingt

Unendlich sich in die Lüfte die Wolke des Wohllauts.


Doch wird ein anderes noch

Wie der Harfe Klang

Der Gesang sein,

Der Chor des Volks.

Denn wenn er schon der Zeichen genug

Und Fluten in seiner Macht und Wetterflammen

Wie Gedanken hat, der heilige Vater,

unaussprechlich wär er wohl

Und nirgend fänd er wahr sich unter den Lebenden wieder,

Wenn zum Gesange nicht hätt ein Herz die Gemeinde.


Noch aber[127]

Doch wie der Fels erst ward,

Und geschmiedet wurden in schattiger Werkstatt,

die ehernen Festen der Erde,

Noch ehe Bäche rauschten von den Bergen

Und Hain' und Städte blüheten an den Strömen,

So hat er donnernd schon

Geschaffen ein reines Gesetz,

Und reine Laute gegründet.


Hom


Indessen schon', o Mächtiger, des,

Der einsam singt, und gib uns Lieder genug,

Bis ausgesprochen ist, wie wir

Es meinen, unserer Seele Geheimnis.

Denn öfters hört ich

Des alten Priesters Gesänge


und so

Zu danken bereite die Seele mir auch.


Doch wandeln im Waffensaale

Mit gebundener Hand in müßigen Zeiten

Die Männer und schauen die Rüstungen an,

Voll Ernstes stehen sie und einer erzählt,

Wie die Väter sonst den Bogen gespannet

Fernhin des Zieles gewiß,

Und alle glauben es ihm,

Doch keiner darf es versuchen

Wie ein Gott sinken die Arme

Der Menschen,

Auch ziemt ein Feiergewand an jedem Tage sich nicht.
[128]

Die Tempelsäulen stehn

Verlassen in Tagen der Not,

Wohl tönet des Nordsturms Echo

tief in den Hallen,

Und der Regen machet sie rein,

Und Moos wächst und es kehren die Schwalben,

In Tagen des Frühlings, namlos aber ist

In ihnen der Gott, und die Schale des Danks

Und Opfergefäß und alle Heiligtümer

Begraben dem Feind in verschwiegener Erde.


Tello


Wer will auch danken, eh er empfängt,

Und Antwort geben, eh er gehört hat?

Ni indes ein Höherer spricht,

Zu fallen in die tönende Rede.

Viel hat er zu sagen und anders Recht,

Und Einer ist, der endet in Stunden nicht,

Und die Zeiten des Schaffenden sind,

Wie Gebirg,

Das hochaufwogend von Meer zu Meer

Hinziehet über die Erde,


Es sagen der Wanderer viele davon,

Und das Wild irrt in den Klüften,

Und die Horde schweifet über die Höhen,

In heiligem Schatten aber,

Am grünen Abhang wohnet

Der Hirt und schauet die Gipfel.

So

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 124-125,127-129.
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