An Gott

[98] Du Gott der Langmuth, gehe nicht ins Gericht

Mit deinem Knechte! Niedergestürzt in Staub,

Bekenn ich, mit zerknirschtem Herzen,

Meine begangenen Jugendfehle,


Und flehe Gnade! Taumelnd vom süßen Wahn

Der Erdenfreude, schwankt ich von Tand zu Tand,

Und liebte dich, und meinen Heiland

Nicht mit der vorigen Feuerinbrunst.


Ein buntes Blümchen, das der Verwelkung wuchs,

War meine Gottheit! Zürne des Jünglings nicht,

Der Opferschalen deines Altars

Einer verwelkenden Blume weihte!


Ach, heißres Feuers, liebt ich ein sterblich Weib

Als meinen Mittler, der mich entsündigte,

Vergaß des Himmels und der Hölle,

Träumte mir irdische Seligkeiten.


Im Beichtstuhl selber, donnere nicht so laut

Du innrer Richter! wann mir die Segenshand

Des Priesters auf der Scheitel ruhte,

Brannte das Mädchen mir tief im Marke.


An deinem Tische, Bluter auf Golgatha,

War Laura meiner Seele Gefühl und Wunsch,

Und Sehnsuchtsthränen, ihr geweinet,

Träufelten über den Kelch des Bundes.


Du Gott der Langmuth, gehe nicht ins Gericht

Mit deinem Knechte! Dir ist des Sünders Tod

Nicht Wohlgefallen! Nie verschloß sich

Reuigen Thränen dein Herz, o Vater!
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Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 98-99.
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