An einen Freund, der sich
in ein schönes Dienstmädchen verliebte

[182] Net sit ancillae tibi amor pudori.

Horat.


Was schämst du dich, daß du die Hanne liebest,

Die dir dein Genius beschert?

Sie ist es werth, daß du ihr Küße giebest,

Das schlanke Mädchen ist es werth!


Sie hat kein Gold, womit das Fräulein pralet,

Und keine lange Ahnenschaft;

Doch ist sie schön, wie man die Engel malet,

Bescheiden, edel, tugendhaft.


Sie ist nicht stolz, wie die nach Standsgebühren

Geehrten Fräulein, oder Fraun,

Die auf uns Sünder, die das von nicht führen,

Mit hoher Nase niederschaun;


Verläumdet nicht, und spielt nicht die Kokette,

Wird durch kein leer Gewäsch entzückt;

Schläft ruhig ein, und springt aus ihrem Bette,

Sobald die Sonn ins Fenster blickt.


Ihr Aug ist blau, durchstralt die ganze Seele,

Prägt selbst dem Schurken Ehrfurcht ein;

Sie singt so hell, so süß, wie Philomele,

Und tanzt mit Anstand ihren Reihn.


Die Dame selbst würd, aus dem goldnen Wagen,

Nach deiner lieben Hanne sehn,

Und knirschend sich den platten Busen schlagen,

Und seufzen: Sie ist wahrlich schön!
[182]

Ja sie ist schön! Der ganze Himmel schwebet

Um Hannens lächelndes Gesicht;

Ihr Busen bebt, wie eine Blume bebet,

Die eben aus der Knospe bricht.


Die Sittsamkeit flieht goldne Fürstensäle,

Und liebt die niedern Hütten nur;

Ich selber, wenn ich mir ein Mädchen wähle,

Ich such es auf der Schäferflur.
[183]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 182-184.
Lizenz:
Kategorien: