Achtes Kapitel

[455] »Die letzte Frage und Aufforderung hörte die Meyer nicht mehr. Sie hatte sich schon während der Erzählung, sobald deren traurige Beziehung klar ward, hochrot, eine Unpäßlichkeit vorschützend, still entfernt.

Unsre Gesichter können Sie sich denken. Der gute Künstler war ganz verwundert, daß seiner Geschichte nichts als ein dumpfes Schweigen folgte. Beim Nachhausegehn fragte er mich, ob er gegen jemand verstoßen habe, worauf ich ihm versetzte, der ganze Tag sei nur ein Verstoß gewesen.

Kurz nach diesem unglücklichen Ausgange byzantinischer Bestrebungen schickten die Meyer und Wilhelmi Verlobungskarten[455] umher. Wir erfuhren, daß Wilhelmi nach ihrem Rückzuge aus der Gesellschaft ihr gefolgt sei, und sie auf dem Sofa liegend, erschöpft und weinend, gefunden habe. Sein Herz war gegen die Leidende übergegangen, aus sanften Tröstungen hatte sich bald eine zärtliche Erklärung entwickelt. Da sie, zu beständigem Wittum entschlossen, dieser widerstanden hatte, soll er auf eine kluge Weise haben einfließen lassen, daß ein kunstkundiger Gemahl ihr gesagt haben würde, die Maler ständen nun einmal von nackten Mädchen nicht ab, und wer solches nicht ertragen könne, der müsse sie nicht in das Haus nehmen.

Da hat die Meyer auf einmal die ganze Mißlichkeit ihrer Stellung erkannt, hat eingesehen, daß eine gelehrte Frau, welche sich behaupten will, durchaus eines Gatten bedarf, der seine Schulen durchgemacht hat; und aus diesen Gefühlen und Erwägungen ist das Bündnis erwachsen, worüber die Stadt beinahe eine ganze Woche zu reden hatte, welches aber jetzt über andre Dinge von Belang schon wieder vergessen worden ist.«

Nur ungern hörte Hermann diese Erzählung mit an, welche ihm zwei Personen, denen er zugetan war, in einem lächerlichen Lichte zeigte; indessen konnte er der unermüdlichen Zunge des Spötters nicht entrinnen. – »Wie sie bemüht sind, sich alles zu zersprechen, damit nur gar nichts übrigbleibe, woran Liebe und Verehrung haften kann!« rief er, als er allein war, aus. »Dieser Mensch nennt sich einen Freund des Hauses und scheut sich nicht, mit der giftigsten Lästerung über die Herrin des Hauses herzufallen!«

Er hatte vergessen, daß ein geheimer Hohn die Lebensluft der guten Gesellschaft ist, weil nur durch ihn das Gleichgewicht bewahrt wird, dessen sich jedes Mitglied bewußt sein muß, um zur Unterhaltung beizutragen.

Nach manchen vergeblichen Gängen traf er endlich seinen Freund Wilhelmi, und wünschte ihm herzlich Glück. Mußte er auch über dessen Emphase lächeln, womit Wilhelmi lauter Eigenschaften an seiner Verlobten hervorhob, welche diese wirklich nicht in ausnehmendem Grade besaß, so war in dessen Äußerungen doch so viel Empfundnes, so fühlte der Freund[456] doch so tief das Glück, einem einsamen Leben zu entrinnen, daß er sich wahrhaft über dessen Schicksal freuen konnte. Selbst das Äußere Wilhelmis hatte der Bräutigamsstand verwandelt, seine Wangen waren röter geworden, seine Augen lebhafter, und er sah wieder wie ein stattlicher Mann in den besten Jahren aus.

Auch Madame Meyer fand er vorteilhaft verändert. Sie war stiller und sinnender, trug sich nicht mehr so viel vor, redete auch mehr von den gewöhnlichen Dingen des Lebens, als von der Kunst. Die Kapelle und die altertümlichen Sammlungen waren geschlossen. Sie empfing ihre Freunde wirklich in den Zimmern, die der Spötter beschrieben hatte. Der Kreis ihrer Gesellschaft hatte sich verengt, und sie bekannte unsrem Freunde in einer traulichen Stunde, daß sie sich dabei wohler fühle.

Dagegen sagte Wilhelmi, daß er nur die Hochzeit abwarten wolle, um dann die Vereinigung seiner Sammlungen mit denen seiner Frau vorzunehmen, und in das ganze Besitztum eine systematische Ordnung zu bringen. Er fügte triumphierend hinzu, daß diese verbundnen Schätze von der Art sein würden, um auch noch neben den Sammlungen des Staats die Aufmerksamkeit der Kenner und Liebhaber zu erregen.

»Dein gutes Geschick hat freundlich für dich gesorgt«, versetzte Hermann. »Du wolltest Direktor des Nationalmuseums werden, worin du manchen Verdruß und Zwang würdest zu erdulden gehabt haben. Anstatt dessen macht dich die Liebe zum Kustos eines Privatkabinetts, mit dem du wirst schalten können, wie du magst.«

War es ihm von Herzen lieb, das Los seiner Freunde auf so zuverlässige Art gesichert zu sehn, so konnte er sich doch eines stillen Neides nicht erwehren. »Der Misanthrop, der Grillenhafte wird ohne sein Zutun, aller Wahrscheinlichkeit zuwider, in den Hafen geführt, während ich, der ich das Glück einfach und gerades Weges suche, plan- und bahnlos mich von meinem Ziele fortschleudern lassen muß!« rief er. »Wo ist da noch Zusammenhang in der Welt, wenn Launen und Seltsamkeiten das Gute und Zweckmäßige gebären, dem wirklichsten Bedürfnisse aber sich grausam die Erfüllung versagt?«[457]

Er fühlte lauter Widersprüche in seinem Schicksale, und ein unbestimmtes Grauen vor der nächsten Zukunft überschlich ihn. Um Schutz gegen sich und seine Gedanken zu finden, nahm er die Bibel zur Hand, welche aber hier, wie in jedem Falle einer aus dem Stegreife mit ihr gesuchten Bekanntschaft, dieselbe ablehnte und dem heftig Andringenden ein hartes, undeutsames Antlitz zeigte.

Von Johannen und Medon hörte er wenig. Sie hatte sich seit einiger Zeit fast ganz zurückgezogen und selbst den Umgang mit Madame Meyer aufgegeben: Er war, wie man sagte, von seinem Plane, zu reisen, abgegangen, und sollte sehr ernsthaft an einer staatswirtschaftlichen Schrift arbeiten. Hermann schob seinen Besuch von Tage zu Tage auf, obgleich ihn eine tiefe Sympathie zu dem unglücklichen schönen Wesen hinschmeicheln wollte.

Das Museum war jetzt der Sammelpunkt der feinen Welt geworden. Eines Tages traf Hermann dort den Prinzen, welchem er in Medons Hause vorgestellt worden war, den Erzähler des Mondscheinmärchens. Er war so gefällig, sich seiner zu erinnern, und freute sich, ihn wiederzusehn. »Man wollte hier wissen«, sagte der Prinz, »Sie würden nicht zurückkehren. Sie wären der Associé Ihres Oheims in seinem Geschäfte geworden.« – »Die Welt«, versetzte Hermann, »hat einen entschiednen Hang, uns Dinge anzudichten, welche gewöhnlich dem, was wir eigentlich tun und begehren, schnurstracks entgegen sind.«

»Das ist wahr«, erwiderte der Prinz. »Hierin zeigen sich die Menschen wahrhaft erfindungsreich, und aus den gewöhnlichsten Köpfen entspringen nicht selten die sinnreichsten Mythen. So hat man mich zum Beispiel – und ich wüßte durchaus nicht zu sagen, wodurch ich die Veranlassung gegeben hätte – zu einem begeisterten Verehrer oder gar Protektor der bildenden Künste gemacht, während ich mir bewußt bin, für sie eigentlich kein Auge zu besitzen. Das Lustigste bei solchen Gesellschaftsfabeln ist, daß man unversehens und unwillkürlich aus einem Objekte derselben, zu ihrem Subjekte und Helden wird. Nach und nach versammelte sich um mich allerhand Gemaltes und Plastisches, ich übernahm das Patronat[458] eines Vereins, und gehöre zu den fleißigsten Besuchern dieser Säle, obgleich ich, die Wahrheit zu gestehn, mehr der Menschen, welche sich hier einfinden, als der Gemälde wegen komme.«

»Gnädigster Prinz«, sagte Hermann höflich, »Sie werden heute auf Ihre eignen Unkosten zum Märchendichter.«

»O nein«, erwiderte der Prinz, »und ich schätze mich deshalb nicht geringer, weil ich der Mode meine Neigung versage. Ein lebendiges Interesse kann nur an einer Sache sich entzünden, welche in der Gegenwart kräftig wurzelt. Nun aber sehe ich an den Handlungen der Zeitgenossen durchaus nichts für das Auge, mithin auch nichts für den Pinsel oder Meißel. Wo die Kanonen und die taktischen Bewegungen das Schicksal der Reiche entscheiden, gibt es keine Heldengruppen, wo die Predigt im Gottesdienste das Wort führt, keine Erscheinungen, wo die Leute bis zu den Schustern und Schneidern hinunter den Frack tragen, kein Genre. Was soll also entstehn? Entweder ein geschmackvoller Eklektizismus, welcher niemals eine Epoche macht, oder ein romantisches Unbestimmtes; Versuche, der Poesie nachzutreten, die in wenigen Jahren schon, wenn gewisse momentane Stimmungen vorübergegangen sein werden, unverständlich sein müssen.

Man darf sich ja nicht durch die jetzige allgemeine Neigung zu diesen Dingen täuschen lassen. Ein Unterschied der modernen Zeit von der griechischen besteht darin, daß unter uns Neueren das wahrhaft geniale Schöne fast immer im Gegensatze zu der herrschenden Stimmung erwächst, welche dagegen ihrerseits das als vorhanden zu präkonisieren pflegt, woran es ihr eben ganz gebricht. Dagegen ging in jener glücklichen griechischen Periode das besondre Genie der Künstler aus dem allgemeinen Talente der Nation hervor. Um an einem Beispiele meine Meinung klarzumachen, so glaubten wir an Klopstocks Oden, Bardieten und an den Nachahmungen derselben eine große vaterländische Poesie zu besitzen, und doch waren diese frostigen Exerzitien am allerfernsten von einer solchen. Nur eine Entwicklung der Schönheit sehe ich noch vor uns, nämlich die poetische; in der Dichtkunst hat, wie ich glaube, Deutschland den Gipfel noch nicht erreicht.«[459]

»Diese Meinung ist für die Poeten der Gegenwart sehr tröstlich«, sagte Hermann, »um so tröstlicher, als viele Stimmen das dichterische Element der Zeit ganz leugnen wollen.«

»Ich rede nicht von einem einzelnen, nicht von Individuen«, erwiderte der Prinz. »Urteile über Personen und Werke, deren Zeitgenosse man ist, sind meistens sehr mißlich. Meine Hoffnung bezieht sich auf etwas Allgemeines. Nun ist es wohl klar, daß eine Periode, in welcher alle Schätze des Geistes gewaltsam aufgeregt worden sind, so daß sie gleichsam in das Freie fielen, von selbst einen Fähigen hervorrufen muß, welcher sich dieses Reichtums bemächtigen wird. Diesem wird gerade der Mangel an äußerm plastischen Leben höchst förderlich sein, da unsrer Stimmung die deskriptive Poesie immer langweilig erscheint, und die Dichter dieser Jahrhunderte mit Glück nur das Innerliche, die bewegenden Ursachen der Dinge ergriffen haben.«

Hermann hatte nur aus schuldiger Rücksicht dem letzten Teile dieser Auseinandersetzung zugehört, denn eine unerwartete Erscheinung wendete seine Gedanken von den Reden des Prinzen ab. Zu der Flügeltüre des Saals, in welchem sie standen, trat nämlich herein, abenteuerlich aufgeputzt, im bunten Gewande, eine Gestalt, in welcher er nach kurzem Besinnen Flämmchen erkannte.

Flatternde Bänder zierten Achseln und Schulter, Schmelzbesatz säumte Busen und Leib, das kurze Röckchen war zackig ausgeschnitten, darunter sahen rotflammige Strümpfe und goldne Schuhe hervor. Die schönen nackten Arme umschlossen an den Gelenken Korallenschnüre, ein safrangelbes Bindentuch, welches sich durch ihre Locken zog, vollendete den fremdartigen Anblick.

Sie betrat den Saal mehr schwebend, als gehend, spielte mit einem Elfenbeinstäbchen, warf es empor, und fing es mit reizender Beugung des Arms wieder auf.

Ihr nach drang ein Schwarm verwunderlich-geschmückter junger Herrn; eine ältliche korpulente Figur mit kahlem Haupte, die Brille vor den Augen, bewegte sich mühsam hinterher. Flämmchen scherzte und schäkerte mit ihrer Begleitung, der ganze Zug rauschte an den Wänden umher, und auf[460] die Gemälde wurde wenig geachtet. Es war das Bild einer leichtfüßigen Nymphe, welche Satyrn und Faunen umspringen, und der Silen mit Anstrengung folgt.

»Was ist Ihnen?« fragte der Prinz Hermann, welcher starr nach Flämmchen hinsah. Dieser versetzte, daß er ein Frauenzimmer bemerke, welches er früher sehr wohl gekannt habe.

»Ach, unsre herkulanische Tänzerin und junge gnädige Frau dort«, sagte der Prinz, der nun erst auf den Zug aufmerksam wurde. »Ja, ich erinnre mich, von Ihrer Mentorschaft gehört und herzlich darüber gelacht zu haben. Nun, Ihre Erziehungsplane sind nicht geglückt, anstatt eines Kunstprodukts hat Natur das wundersamste, entzückendste Geschöpf ausgebildet. Ich behaupte, wer sie tanzen gesehn, kann nie wieder ganz unglücklich werden. Wäre ich ein Freund von Paradoxen, so würde ich sagen: Sie tanzt Geschichte, Fabel, Religion, ihre begeisterten Wendungen und Stellungen weihen uns in die geheimsten Dinge ein. Unter uns muß ich Ihnen gestehen, daß jenes Märchen, mit welchem ich in Medons Hause so viel Glück machte, nur der schwache Nachhall einer Pantomime war, durch die sie an einem unvergeßlichen Mondabende meine Sinne außer Fassung gesetzt hatte!«

»Verzeihen Sie meinem Erstaunen, gnädigster Prinz«, rief Hermann, »wenn ich unbescheiden werde, und mir eine Frage erlaube! Sie sprachen das Wort: Frau, aus. In welcher Verbindung steht dasselbe hier?«

Der Prinz lachte und versetzte: »In der natürlichsten von der Welt. Der närrische Domherr, mit dem wir manchen Scherz getrieben haben, entführte sie, um sie, es koste, was es wolle, zu seiner Frau zu machen, von der abgeschmacktesten Theorie beherrscht, die ihm ein Schalk in den Kopf gesetzt hatte. Die Heirat kam wirklich in reißender Schnelligkeit zustande, und kurz darauf starb der Domherr, völlig beruhigt, wie man sagt, über seine Fortdauer nach dem Tode. Das junge Witwenkind lebt nun, wenn sie nicht, wie jetzt, zu kurzem Besuche nach der Stadt kommt, auf der Villa ihres Eheherrn, wo sich die albernsten Verhältnisse angesponnen haben.«

Er verbeugte sich gegen Hermann, und ging zu Flämmchen, die ihn mit zierlicher Begrüßung empfing. Der Prinz deutete[461] nach Hermann hinüber, Flämmchen erblickte diesen, und die hellste Freude loderte über ihr Antlitz. Er, etwas Auffallendes an diesem öffentlichen Orte besorgend, trat rasch durch eine Kommunikationstüre in einen Vorraum zurück. Die Treppe hinuntergehend, flüchtete er sich zu den Antiken und Vasen, welche man in den Gemächern des Erdgeschosses aufgestellt hatte. Hier war es menschenleer. Er schritt hin und her und überlegte, wie und wo er seinen ehemaligen Schützling am besten sprechen möchte, als aus einem Seitenkabinette Flämmchen hereinflog. Mit dem Rufe: »Liebster! Bester! Einziger!« hing sie ihm am Halse und die leidenschaftlichsten Küsse brannten auf seinen Lippen.

»Habe ich dich endlich wieder!« rief sie, indem sie ihm Augen und Stirn küßte. »Nun aber werde ich dich nicht lassen, nun sollst du mein werden, sie mögen tun, was sie wollen.«

Hermann war in großer Verlegenheit, jeden Augenblick fürchtete er, Zeugen dieser befremdlichen Szene eintreten zu sehn. Er suchte sich ihren Armen zu entwinden; sie hielt ihn aber fest, und rief: »Sei doch nur auf diese wenigen Augenblicke mein Freund, mein Geliebter, nicht lange wird die Wonne dauern, das abgeschmackte Volk oben, dem ich davongelaufen bin, wird bald kommen, mich zu suchen. Laß deine arme Flamme die kurze Zeit an dir glühen; ach, du weißt es freilich nicht, wie einem Mädchen zumute ist, die nicht an Gott und Teufel, nicht an Himmel und Hölle, sondern nur an ihren Liebsten, an das süße Fleisch und Blut glaubt! Siehst du, ich bin erwachsen, ich spreche im Zusammenhange, das rührt daher, weil ich kein Kind mehr bin.«

»Beruhige dich, mein Flämmchen«, sagte Hermann, »erzähle mir ordentlich, wie es dir gegangen ist, ich hörte Dinge, die mir unglaublich vorkamen.«

»Etwa, daß ich Witwe bin?« versetzte sie, überlaut lachend. »Ja, ich bin eine, und müßte eigentlich Schwarz tragen, denn der Domherr ist erst seit sechs Wochen tot, aber ich traure in Rot und Gelb, wie die Bäume, wenn die Blätter abfallen. Setze dich in den Großvaterstuhl, frage, und ich will Antwort geben.«[462]

Sie drückte ihn in einen antiken Lehnsessel, hockte sich vor ihm nieder, und lehnte ihr Haupt an sein Knie. »Wie hat sich deine Heirat so rasch gemacht? Wer sind deine Begleiter? Wer nimmt sich deiner an?« fragte er.

»Der Domherr bat mich inständig darum, die Alte redete mir so lange zu, daß ich es ihm zu Gefallen tat, und dann tat ich es auch, um dich zu ärgern, weil du mich so ganz vergessen hattest. Denn ich wußte doch, daß es dir leid sein würde, wenn du mich als Frau fändest. Die Jungen mit den hohen Halsbinden und Backenbärten machen meinen Viehstall aus, sie haben sich alle in mich verliebt, und müssen sich gefallen lassen, was ich mit ihnen vornehme; den Dicken nennen sie den Kurator. Die Verwandten meines Mannes haben ihn angestellt, mich zu beaufsichtigen; die Alte sagt, ich sei guter Hoffnung, ich wüßte zwar nicht, wie es zugegangen sein sollte, aber die Verwandten sind doch bange, daß ihnen die Erbschaft entgehn möchte, und darum muß er mich bewachen. Nun ist es ein himmlischer Spaß, daß der dicke Sünder sich auch in mich vernarrt hat. Er schleicht mir nach, seufzt und stöhnt; ich könnte ihn weit führen, wenn ich nicht auf Tugend hielte. Die Alte nimmt sich meiner in Treuen an, sie spricht oft dummes Zeug, ich glaube, das alte Weib ist zuweilen etwas verrückt, aber ich könnte doch ohne das gute Tier nicht leben. Nun habe ich dir auf alles geantwortet, jetzt tue auch mir so auf meine Frage: Wirst du deine Flamme in ihrem Häuslein besuchen, und bald?«

»Liebes Herz«, sagte Hermann, »das kann ich dir nicht gewiß versprechen. Ich habe noch manches hier abzutun, auch führst du allem Anscheine nach eine sonderbare Wirtschaft, zu welcher ich eben nicht passen würde.«

»Nicht? Nicht?« rief sie mit dem wilden Ausdrucke, welcher ihn erschreckt hatte, als er sie zum ersten Male in der Höhle traf. Blitzschnell hatte sie einen Dolch aus dem Busen gerissen, und die Spitze würde in ihrer Brust gesessen haben, hätte er nicht ihren erhobnen Arm festgehalten.

»Was wolltest du tun, wahnsinniges Kind?« fragte er entsetzt. »Mich erstechen«, sagte sie gleichgültig. »Du bist, wie du warst, Holz und Stein, was soll Flämmchen auf der Welt?«[463]

»Ich will ja zu dir kommen!« rief er bestürzt. – »Bald?« – Er bejahte. »So schwöre mir's zu den Füßen dieser Liebesgöttin.« Er tat, was sie begehrte, um sie nur zufriedenzustellen.

Ihr Schwarm drang herein, sie suchend. Flämmchen trat ihnen mit komischer Würde entgegen und sagte: »Dieser ist ein alter Bekannter von mir, und wenn der einmal zu mir kommt, habt ihr euch alle zum Hause hinauszuscheren, mit Ausnahme des Dicken, der ein vernünftiger Mann ist und eine anständige Gesellschaft für ihn.« Sie ging, ohne nach Hermann sich weiter umzublicken, oder ihm Lebewohl zu sagen.

Quelle:
Karl Immermann: Werke. Herausgegeben von Benno von Wiese, Band 2, Frankfurt a.M., Wiesbaden 1971–1977, S. 455-464.
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