XX

[273] Der junge Most war in die Fässer gebracht. Der Boden war süß von seinen vergossenen Tropfen. In der Luft hatte ein weicher Rausch gelegen, der nur langsam daraus verschwand. Dann standen die leeren Weinstöcke da. Und dann kam ein grauer Nebel aus der Ebene herauf.

»Noch einen Tag hierbleiben, noch einen einzigen,« flehte Bela täglich seine Mutter an. Und sie blieb noch einen Tag und noch einen. Es waren wieder Mondnächte, und alle Gräser und Halme, die ihre Blumen und ihre Jugend verloren hatten, erhielten kleine silberne Scheine. Kyrilla schritt wie zwischen Schneemauern hin, jenseits derer geheimnisvolle, in rosa Blüten prangende Bäume standen. Bela phantasierte von den bevorstehenden Freuden des Winters, obwohl er um jeden Tag längern Verweilens hier feilschte. Wenn Kyrilla »ja« zu seiner erneuten Bitte sagte, suchten ihre Blicke heimlich Hendriks Gesicht. Auch das schien »ja« zu sagen.[273] Dann waren sie noch einige Stunden und noch einige glücklich. So wehwund glücklich, sie, die beiden Erwachsenen.

Eines Tages sagte Hendrik zu Belas Begehren »nein!« Ein paar Minuten war der Junge traurig; dann heiterte sich seine Miene auf. »Diesen Winter lehrst du mich das Rauchen, Onkel. Wenn wir dann unten in der Stube sitzen, dampfen wir alles blau. Gelt, Mama, und du thust mit. Dem Paul seine Mutter raucht auch aus der Pfeife.«

Kyrilla lächelte ein wenig, ganz schüchtern, ganz leise, fast unmerklich. Aber Hendrik hatte es doch gemerkt. Er küßte dem Jungen zärtlich die Stirn und schritt hinaus.

Andern Tags packten sie ihre Habseligkeiten zusammen und fuhren nach dem Hof zurück.[274]

Quelle:
Maria Janitschek: Frauenkraft. Berlin 1900, S. 273-275.
Lizenz:
Kategorien: