Der Tod.

An Herrn Professor Sulzer

[146] O Freund! die lächelnde Rose

Weit aufgeschlossen – – sie stirbt

Und streut die welkenden Blätter

Hin auf ihr mütterlich Land.


Mit krummen rauschendem Hiebe

Fährt jetzt die Sense daher.

So mäht im schrecklichen Schlachtfeld

Die muthigen Krieger, der Tod!


Dort liegt in sengender Sonne,

Der Stolz des blühenden Thals,

Auf der sich Bienen verweilten:

Sie tritt im Winter der Stier
[147]

Zu satt, mit stampfendem Fusse

In ein verächtliches Grab.

So liegt bey fressenden Würmern

Der angebetete Reiz


Von irgend einer, die himmlisch

Gieng unter den Menschen umher.

Sie starb; der grauen Verwesung

Zu theurer, köstlicher Raub!


Apollens singende Söhne,

Und Mavors drohendes Volk,

Die Sterne zählende Weisen,

Sie alle müssen dahin.


Bekannt mit allen Olympern

Gieng in die ewige Nacht

Der tagentbehrende Milton,

Und ließ uns seinen Gesang.
[148]

Hoch auf die Sitze der Fürsten

Greift der langarmige Tod.

Dem König nahm er den Bruder1

Und dir entriß er den Freund.


Er reißt vom Herzen des Lieblings

Den besten Menschen mit sich!

Gleim seufzet mitten im Gastmahl:

»Auch also riß mir der Tod


Vom Innersten meiner Empfindung

Einst meinen göttlichen Kleist!«

O Sulzer! nenn ihn nicht dreymal,

Sein Herz verblutet sich sonst.


Nicht schützt die kniende Andacht

Und nicht der Frömmigkeit Schild.

Nichts fragt die schneidende Parce

Nach Tugend oder Verdienst.
[149]

Der Tod mit strengen Befehlen

Kömmt schnell und übet sie aus.

Von dem gesammleten Golde

Folgt ihn der Wuchrer und klagt.


Die Sterblichen fürchten ihn alle.

Ihn flieht der keuchende Greiß,

Alt und nicht weiser geworden –

Ihn scheut an Ketten der Sclav!


Doch wenn sie alle ihn fürchten,

Lachst du dem blöckenden Zahn

Mit grösserem Stolze entgegen,

Als, mit dem Becher voll Gift,


Der freudenhoffende Heyde,

Im Angesichte des Volks,

Das seine Tugend verkannte.

Freund! wir verkennen dich nicht;
[150]

Bleib uns ein lehrendes Beyspiel

Ruf dein noch seufzendes Herz

Zurück von traurigen Gräbern:

Und spät erwarte dich deins!

Fußnoten

1 Des Prinzen von Preussen Königl. Hoheit.


Quelle:
Anna Louisa Karsch: Auserlesene Gedichte, Berlin 1764, S. 146-151.
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