Abendregen

[235] Langsam und schimmernd fiel ein Regen,

In den die Abendsonne schien;

Der Wandrer schritt auf engen Wegen

Mit düstrer Seele drunter hin.


Er sah die großen Tropfen blinken

Im Fallen durch den goldnen Strahl;

Er fühlt' es kühl aufs Haupt ihm sinken

Und sprach mit schauernd süßer Qual:


»Nun weiß ich, daß ein Regenbogen

Sich hoch um meine Stirne zieht,

Den auf dem Pfad, so ich gezogen,

Die heitre Ferne spielen sieht.


Und die mir hier am nächsten stehen

Und wer mich scharf zu kennen meint:

Sie können selber doch nicht sehen,

Wie er versöhnend ob mir scheint.


So wird, wenn andre Tage kamen,

Die sonnig auf dies Heute sehn,

Ob meinem fernen, bleichen Namen

Der Ehre Regenbogen stehn.«

Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 235-236.
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