Erkenntnis

[302] Willst du, o Herz! ein heitres Ziel erreichen,

Mußt du in eigner Angel schwebend ruhn;[302]

Ein Tor versucht zu gehn in fremden Schuhn,

Nur mit sich selbst kann sich der Mann vergleichen!


Ein Tor, der aus des Nachbars Bubenstreichen

Sich Trost nimmt für das eigne schwache Tun!

Der immer um sich späht und lauscht und nun

Sich seinen Wert bestimmt nach falschen Zeichen!


Tu frei und offen, was du nicht kannst lassen,

Doch wandle streng auf selbstbeschränkten Wegen

Und lerne früh nur deine Fehler hassen!


Dann gehe mild den anderen entgegen!

Kannst du dich selbst nur fest zusammenfassen,

So hängt an deine Schritte sich der Segen.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 302-303.
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