Abend auf Golgatha

[33] Eben die dornige Krone geneiget, verschied der Erlöser,

Weißlich in dämmernder Luft glänzte die Schulter des Herrn?

Siehe, da schwebte, vom tauigen Schimmer gelockt, die Phaläne

Flatternd hernieder zu ruhn dort, wo gelastet das Kreuz.

Langsam schlug sie ein Weilchen die samtenen Flügel zusammen,

Breitet' sie aus und entschwand fern in die sinkende Nacht.

Nicht ganz blieb verlassen ihr Schöpfer: den Pfeiler des Kreuzes

Hielt umfangen das Weib, das er zur Mutter sich schuf.


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 33.
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