Parteileben

[288] Wer über den Partein sich wähnt mit stolzen Mienen,

Der steht zumeist vielmehr beträchtlich unter ihnen.


Trau keinem, der nie Partei genommen

Und immer im trüben ist geschwommen![288]

Doch wird dir jener auch nicht frommen,

Der nie darüber hinaus will kommen.


Fällt einer ab von eurer Schar,

So laßt ihn laufen und richtet nicht;

Doch dem, der zu euch stoßen will

Von dort, dem schauet ins Gesicht!


»Was du nicht willst, daß man dir tu,

Das füg auch keinem andern zu!«

Laß die Gesinnung merklich sein,

So ist der halbe Sieg schon dein.

Zu diesem Wort lacht manch ein Schuft,

Der sich auf den Erfolg beruft;

Doch du erlebst, daß er wird wandern,

's trifft eben einen nach dem andern!


Halte fest an der Partei, wenn du ein Parteimann bist,

Aber unbewegt verleugne jeden Lügner und Sophist!


Betrachtet eurer Gegner Schwächen

Und lernt, am besten euch zu rächen,

Das eigne Unkraut auszustechen!


Wenn schlechte Leute zanken, riecht's übel um sie her;

Doch wenn sie sich versöhnen, so stinkt es noch viel mehr!


Als Gegner achte, wer es sei!

Strauchdiebe aber sind keine Partei!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 288-289.
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