Revolution

[318] »Es wird schon gehn!« ruft in den Lüften

Die Lerche, die am frühsten wach;

»Es wird schon gehn!« rollt in den Grüften

Ein unterirdisch Wetter nach.

»Es geht!« rauscht es in allen Bäumen,

Und lieblich wie Schalmeienton

»Es geht schon!« hallt es in den Träumen

Der fieberkranken Nation.


Die Städte werden reg und munter,

»Es geht!« erschallt's von Haus zu Haus;

Schon steigt der Ruhm in sie hinunter

Und wählt sich seine Kinder aus.

Die Morgensonne ruft: »Erwache,

O Volk, und eile auf den Markt!

Bring auf das Forum deine Sache!

Im Freien nur ein Volk erstarkt!


Trag all dein Lieben und dein Hassen

Und Lust und Leid im Sturmesschritt,

Dein schlagend Herz frei durch die Gassen,

Ja bring den ganzen Menschen mit!

Laß strömen all dein Sein und Denken

Und kehr dein Innerstes zu Tag!

Die Kindheit braucht dich nicht zu kränken,

Wenn du ein Kind von gutem Schlag!«
[318]

Die Morgensonne ruft: »Erwache!«

Klopft unterm Dach am Fenster an;

»Steh auf und schau zu unsrer Sache,

Sie geht, sie geht auf guter Bahn!

Ich lege Gold auf deine Zunge!

Ich lege Feuer in dein Wort!

So mach dich auf, mein lieber Junge,

Und schlag dich zu dem Volke dort!«


Er eilt, und es empfängt die Menge

Ihn hoffend auf dem weiten Plan;

Stolz trägt sein Kind des Volks Gedränge

Zur Rednerbühne hoch hinan.

Nun geht ein Leuchten und Gewittern

Aus seinem Mund durch jedes Herz;

Durch goldne Säle weht ein Zittern –

Es wird schon gehn, schon fließt das Erz.


Wie eine Braut am Hochzeitstage,

So ist ein Volk, das sich erkennt;

Wie rosenrot vom heißen Schlage,

Vom Liebespuls ihr Antlitz brennt!

Zum ersten Mal wird sie es inne,

Wie schön sie sei, und fühlt es ganz:

So stehet in der Freiheitsminne

Ein Volk mit seinem Siegeskranz.


Doch wenn es nicht von Güte strahlet

Wie eine hochbeglückte Braut,

So ist sein Lohn ihm ausgezahlet

Und seine Freiheit fährt ins Kraut.

Ein böses Weib, ein gift'ger Drache

Und böses Volk sind all ein Fluch,

Und traurig spinnt die beste Sache

Sich in ihr graues Leichentuch!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 318-319.
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