Der Kranz

[390] Der Frühling ging durchs reiche Schwabenland

Und mit ihm Ludwig Uhland, an der Hand

Die treue Gattin; denn es kam zu wandern

Der teure Mann von einem Ort zum andern.


Mag's mit dem Recht in Stuttgart nicht gelingen,

Will lehrend er ins Herz der Jugend dringen

Zu Tübingen am alten Musensitz,

Umleuchtet noch von hellem Geisterblitz.


So wallt das Paar still und getrost dahin,

Wo Täler weiß im Schnee der Bäume blühn;

Doch sieh! beim Steine, der die Markung kündet,

Steht eine Schar von Freunden treu verbündet.


Die Kampfgenossen für des Volkes Rechte,

Sie harren sein mit einem Kranzgeflechte

Von dichtem Lorbeer, glänzend frisch und grün;

Den reichen sie dem Sänger hold und kühn.


Ein letzter Kuß! Der letzte Becher blinkt,

Und ferne schon die Hand zum Scheiden winkt;

Dem Meister glänzt das Aug, das lebenswarme,

Und Frau und Kranz führt er am rechten Arme.
[390]

Sie wandeln bald in einem lichten Walde

Von großen Eichen an der sanften Halde;

Wie steht so fest und frei der edle Hain,

Und überall blaut noch der Himmel drein!


Hoch oben kreist der Falk im Sonnenlicht,

Das durch das Gitterwerk der Zweige bricht,

Und Uhland, schreitend im geweihten Raume,

Tritt unversehns zum nächsten Eichenbaume.


Rasch hängt er auf den Kranz, und schweigend wendet

Den Schritt er weiter; nur Frau Emma sendet

Reuig den Blick zurück, doch strahlend licht

Wird drauf ihr Aug, sieht sie den Mann so schlicht.


Tief schaut sie dieses reinen Goldes Hort

In seinem Herzen – doch mit keinem Wort

Wird sie benennen ihr beglückend Wissen

Von einem Schatz, den tausend Frauen missen.


Im Waldesdämmer an dem grauen Stamme

Verlassen glimmt des Lorbeers grüne Flamme.

Vorüber zog das Wanderpaar schon lang,

Und laut erschallt im Hain der Vogelsang!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 390-391.
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