Ufergemälde

[37] Es heulet der Sturm,

Es tobet die See,

Es peitschen die Wellen

Die See in die Höh'.
[37]

Es steuert ein Fahrzeug

Am seegrünen Strand,

Es steiget die Mannschaft

Mit Beben an's Land.


Ein Weib ist dazwischen,

Das Kind auf dem Arm,

Drückt's fester und flehet:

Daß Gott sich erbarm'!


Gerettet, bewahret

Von göttlicher Hand,

Bewahrt vor dem Abgrund,

Der Tiefe Gestrand.


Am Ufer ich bete,

Mit Blumen geschmückt,

Mein Kind, es ist eisig,

Mein Haupt ist gebückt.


Tot! Tot – sie es sagen,

O Vater, o nein,

Du lässest nicht halb nur

Gerettet uns sein!
[38]

Es schloß in den Fluten

Die Aeugelein zu,

O rettender Gott,

Gelobet seist Du!


Belebe mein Kindlein,

Mein Herz und mein Blut,

Sonst wollte ich lieber

Hinab in die Flut;


Zurück in die Tiefe,

In Wassers Gewalt,

Wo unser Notschuß

In Klüften verhallt.


Das Auge sie hebet

Zum Himmel empor,

Da schlaget, horch plötzlich

Ein Schrei an ihr Ohr.


Ei, sieh da, das Kindlein,

Das Kind ist erwacht,

Sein Mund hat geschrieen,

Sein Aug' hat gelacht!
[39]

Es sinkt in die Kniee

Die Mutter am Strand,

Und rufet ganz trunken:

O sehet doch Gottes Hand!


Die Männer, sie wenden

Verwundert sich um

Und geben das Kindlein

Die Runde herum.


Sie heißen es Jeder

Willkommen am Land!

Und murmeln dazwischen:

O sehet doch Gottes Hand!


Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. XXXVII37-XL40.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1903)
Kennst Du das Land, wo die Lianen blühn?: Gedichte des schlesischen Schwans
Dichterleben, Himmelsgabe: Sämtliche Gedichte
Friederike Kempner: Das Leben ist ein Gedicht
Ausgewählte Gedichte : Aus d. Liederschatz d.
Gedichte: Ausgabe 1903

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Das neue Lied und andere Erzählungen 1905-1909

Die Sängerin Marie Ladenbauer erblindet nach einer Krankheit. Ihr Freund Karl Breiteneder scheitert mit dem Versuch einer Wiederannäherung nach ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Erblindung. »Das neue Lied« und vier weitere Erzählungen aus den Jahren 1905 bis 1911. »Geschichte eines Genies«, »Der Tod des Junggesellen«, »Der tote Gabriel«, und »Das Tagebuch der Redegonda«.

48 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon