Das Burschenlied

[213] Die Poesie ist ein Gebiet,

Wo alle Blüten treiben.

Jetzt soll ich gar ein Burschenlied

Für die Studenten schreiben.

Wohlan, es sei, ich fange an,

Und schreib', so gut ich schreiben kann.


Ich lob' mir die Studentenschaft,

Die brav, fidel und bieder,

Mit hellem Geist und Mut und Kraft

Hoch hält die deutschen Lieder.

Mit Liedern zieht er in die Welt,

Ein solcher Bursche ist ein Held.


Im schmucken, reichgestickten Kleid,

Mit Humpen und mit Degen

Ist gern geseh'n er weit und breit,

Auf allen deutschen Wegen.

Ein solcher Bursche ist ein Held,

Er zieht als Sieger durch die Welt.
[214]

Und zeigt man ihm ein böses Weib,

Die Braut ihm zu ersetzen,

Weicht tausend Schritte er vom Leib,

Er läßt sich nichts verhetzen.

Mit achtzehn Jahr' hat er gefreit,

Und damals war er grundgescheit.


Studenten, unsere Zukunft einst

Hängt ab von eurem Werden,

Ob's freund- und friedlich wird dereinst,

Ob's heimlich wird auf Erden.

Und Eins noch hänget von euch ab,

Ob man lebendig muß ins Grab! –


Ob Nacht, ob Finsternis, ob Licht,

In eurer Hand wird's liegen.

Vergeßt der großen Ahnen nicht,

Dann wird das Rechte siegen.

Die Burschenschaft, sie ist ein Held,

Und ihr gehört die ganze Welt.

Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. CCXIII213-CCXV215.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1903)
Kennst Du das Land, wo die Lianen blühn?: Gedichte des schlesischen Schwans
Dichterleben, Himmelsgabe: Sämtliche Gedichte
Friederike Kempner: Das Leben ist ein Gedicht
Ausgewählte Gedichte : Aus d. Liederschatz d.
Gedichte: Ausgabe 1903