Frühlingsmorgen

[72] Wann die Lämmer wieder springen,

Lerchen jubeln, Rosen glühn,

Muß das kränkste Herze singen

Und im Welken noch erblühn.


Wer in bangen Lebensschmerzen

Einsam jetzt die Straße geht,

Singet selbst aus düstrem Herzen,

Wie ein Lied aus Wolken weht.


Wer verbannt, das Aug' in Tränen,

Jetzt im fremden Lande zieht,

Durch betaute Blumen tönen

Läßt der seiner Heimat Lied.


Flüsse, Saaten, tönend wallen; –

Aus dem fernsten Himmel blau

Weht ein Singen, lieblich Schallen,

Über Wald und helle Au.[72]


Alter Gram, nun zeuch von hinnen,

Fülle nicht dies Herze bang!

Strömet ein von Himmelszinnen

Morgenrot und Lustgesang.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 72-73.
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