Der Kranke und die Stimme

[122] Der Kranke.


In schwerer Krankheit lieg' ich Armer,

Und keine Seele leidet mit!

War schon, o göttlicher Erbarmer!

Ein Wesen, das die Qualen litt?


Wie lieg' ich doch in Nacht verlassen!

Wie mich das harte Lager brennt!

O könnt' ich eines Hand nur fassen,

Der einen Trost für mich noch kennt!


Die Stimme.


Groß ist dein Schmerz, doch weiß ich einen,

Der mehr gelitten hat als du;

Da schliefen auch um ihn die Seinen,

Ihn aber floh des Schlafes Ruh'.


Ein blut'ger Schweiß entquoll der Hülle,

Als er im Garten lag im Flehn:

»Ist, Vater! es dein heil'ger Wille,

Laß diesen Kelch vorübergehn!«


Der Kranke.


Ach! mir im Haupte tobt unsäglich

Ein Schmerz durch Nerven und Gebein!

Und ist er einen Tag erträglich,

Am andern steiget nur die Pein.


Die Stimme.


Groß ist dein Schmerz! schmerzreicher stachen

Doch jenen Dornen einst ins Haupt;

Er trug's, trug es, als selbst mit Lachen

Sie ihn geschlagen und beraubt.


Der Kranke.


O könnt' ich doch mit Namen nennen

Die Qual, die meine Brust durchzückt!

Qualvoll mag sein der Hölle Brennen,

Qualvoller ist, was hier mich drückt!


Die Stimme.


Qualvoll mag's sein; doch tiefer brannte

Ein harter Speer den in die Brust,

Und er, er war der Gottgesandte,

Und du bist Mensch voll sünd'ger Lust!


[123] Der Kranke.


Es bohrt ein Schmerz durch meine Glieder,

Es lähmet sie ein eisern Band,

Und ach! die schreckenvollste Hyder

Ist meines Durstes heißer Brand!


Die Stimme.


Groß ist dein Schmerz, in Füßen, Armen,

Doch größer wohl war jenes Pein,

Als sie ihm Nägel ohn' Erbarmen

Wild schlugen in die Glieder ein.


Groß ist dein Durst; doch stillt die Quelle

Kristallnen Wassers dir den Brand;

Doch seinem Durste bot die Hölle

Die Galle mit verruchter Hand.


Der Kranke.


Ha! quälender, denn Dürsten, Brennen,

Denn Gallentrank, der Menschen Spott,

Das ist im Innern mein Erkennen,

Daß ich verlassen bin von Gott.


Die Stimme.


Auch jener litt vor seinem Ende

Den Geistesschmerz, der dich zerreißt,

Doch sprach er bald: »In deine Hände

Befehl' ich, Vater! meinen Geist!«


Der Kranke.


Ha! innres Wort! hast überwunden!

Wie wird auf einmal leicht mein Herz!

Und was ich trag', sind andre Wunden,

Und was ich fühl', ist andrer Schmerz!

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 122-124.
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