Auf den Tod eines Kindes

[216] Wie wohl ist dir gebettet,

Mein Kind, im Erdenschoß!

Hast aus der Welt gerettet

Dich, eh' du wurdest groß.


Wenn in des Lenzes Tagen

Die Blüte fällt vom Baum,

Kann man mit Fug wohl sagen:

Sie war ein lichter Traum.


Doch wenn vom Wurm gestochen

Als Frucht sie hängt am Baum

Und faul wird abgebrochen,

War sie ein böser Traum.


So viele Früchte prangen,

Die leis ein Wurm zerfrißt.

Wer weiß, ob du entgangen

Nicht solchem Lose bist.


Ein Engel schwebt vorüber,

Haucht an die Blüten nur,

Da wehen sie hinüber

Auf eine beßre Flur.


Ich blick' dir nach mit Sehnen,

Du Blüte! fortgeweht,

Doch fließen keine Tränen,

Weil es dir wohlergeht.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 216.
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