Fünfte Vorstellung.

[59] Jetzt aber kamen wieder große Felsen.

»Grüß' dich Gott! grüß' dich Gott!« schrien die Schiffer; da wiederholte ein Echo die Worte: »Grüß' dich Gott!« vernehmlich.


»Echo! Echo! in dem Tal!

Grüß' meinen Schatz vieltausendmal!«


schrie ein Mühlknecht, welcher mit auf dem Schiffe; da antwortete das Echo »tausendmal!« gar deutlich. »Laßt uns die schöne Nacht nicht verschlafen, wacht auf, ihr Mädchen!« sprach einer der Mitreisenden, ein Jäger, »ihr müßt alle singen!« Da erhoben sich die fast schlummernden Mädchen halb zürnend,[59] halb lachend; auch war die blinde Harfnerin schon bereit und stimmte ihre Harfe. »Wohlan! laßt uns alle singen!« sprach der Mühlknecht, »ein Reiselied!«

»Nein! besser Lieder, die von der Nacht, von Flüssen oder von dem Meere handeln, die muß man auf Schiffen singen«, sprach ein Schiffer. Da begann die Gesellschaft unter dem Schlag der Ruder mit Begleitung der Harfe also:


»Es war in des Maien lindem Glanz,

Da hielten die Jungfern von Tübingen Tanz.


Sie tanzten und tanzten wohl allzumal

Um eine Linde im grünen Tal.


Ein fremder Jüngling in stolzem Kleid

Sich wandte bald zu der schönsten Maid;


Er reicht' ihr dar die Hände zum Tanz,

Er setzt' ihr aufs Haar einen meergrünen Kranz.


O Jüngling! warum ist so kalt dein Arm? –

In Neckars Tiefen, da ist's nicht warm!


O Jüngling! warum ist so bleich deine Hand? –

Ins Wasser dringt nicht der Sonne Brand!


Er tanzt mit ihr von der Linde weit;

Laß, Jüngling! horch, die Mutter mir schreit!


Er tanzt mit ihr den Neckar entlang;

Laß, Jüngling! weh! mir wird so bang!


Er faßt sie fest um den schlanken Leib:

Schön' Maid! du bist des Wassermanns Weib!


Er tanzt mit ihr in die Wellen hinein:

O Vater und o du Mutter mein!


Er führt sie in einen kristallenen Saal.

Ade, ihr Schwestern im grünen Tal!«


»Nun laßt mich ein Lied von Liebe und Scheiden singen!« sprach die Harfnerin. Sie stimmte die Harfe, und sie und der Knabe sangen:


»Was macht dir, Herzliebster!

Die Wange so blaß?

Was macht dir das Auge

Von Tränen so naß?


Und mußt du von hinnen –

Dort über der See

Gibt's wohl noch ein Liebchen;

Herzliebster! ade!


Es scheinen viel Sterne

Am Himmelsgezelt,

Doch keiner von allen

Wie Luna gefällt.[60]


O Liebchen! Herzliebchen!

Wohl ist es mir weh;

Weit muß ich von hinnen,

Weit über die See!


So nimm nur dies Ringlein

Von Golde so schwer!

Und wird es zu eng dir, –

So wirf's in das Meer!


So steck' nur dies Blümlein

Ans klopfende Herz!

Und duftet's dir nimmer,

Verging auch dein Schmerz.«


Das Lied gefiel den Mädchen, und sie versuchten schon bei der dritten Strophe, es mitzusingen.

»Nun singt«, sprach der Mühlknecht, »das Lied vom Herrn von der Heide alle im Chor, das hat gar eine wundersame Melodie und ist auch ein Schifflied.«

Das Mädchen stimmte die Harfe neu, und alle sangen unter langsamem Schlage der Ruder dies Lied in tiefem Chor:


»Sagt an, Herr von der Heide, sagt!

Was soll dies weiße Kleid?

›Wohl auf der Höh', weh! auf steiler Höh'

Steht mir ein Rad bereit.‹


Sagt an, Herr von der Heide, sagt!

Wo ist denn Euer Weib?

›Wohl auf der See, weh! auf weiter See!

Schifft sie zum Zeitvertreib.‹


Man führt ihn unter Sang und Klang

Zu Bremen zum Tor hinaus,

Zwei Raben fliegen hinterher,

Zwei andre fliegen voraus.


›Hört an! o hört an, ihr Vögel schwarz

Da in der blauen Höh'!

Seid ihr von meinem Fleische satt,

Erzählt's der Frau zur See!‹


Leis streicht das Schiff durch die grüne See,

Der Mond durch den Himmel blau,

Stolz blickt vom Verdeck mit ihrem Galan

Herrn von der Heidens Frau.


›Seht an! o seht an! die Vögel schwarz

Da in der blauen Höh'!

Sie sinken auf Mast und Segelstang',

Halt Schiffer! mir wird so weh!‹[61]


Hurra! huhu! ihr schwarzen Gast',

Auf Mast und Segelstang'!

Sie blicken ruhig, sie sitzen fest

›Halt, Schiffer! mir wird so bang!‹


Der erste läßt fallen ein Auge schwarz,

Der zweit' ein Fingerlein,

Der dritte läßt fallen eine Locke Haar,

Der vierte läßt fallen ein Bein.


Leis streicht das Schiff durch die grüne See,

Der Mond durch den Himmel blau –

Tot liegt im Arme des Galans

Herrn von der Heidens Frau.«


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 59-62.
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