Neunte Vorstellung.

[92] Als ich so stand und ins Tal hinabsah, sah ich am Fuße des Berges einen Postwagen vorüberfahren. Ich war bald entschlossen, meine Reise mit ihm fortzusetzen. Ich eilte, meinen Reisebündel zu holen, in die Zelle des Geistlichen, verabschiedete mich von ihm und erreichte den Wagen noch unweit des Berges. Der Wagen ging gar langsam, auch war hinten ein hinkendes Pferd angeknüpft, das an ihm rückwärts zog. Ich erkannte in diesem Pferde den ledernen Rappen des bewußten Pfarrers, als ich den Pfarrer selbst in dem Wagen erblickte.

Der Pfarrer hatte das Kinn mit seiner Stockbibel unterstützt und saß neben einer Maschine, die ich alsbald für den Bronnenmacher von Grasburg erkannte.

Noch saß in dem Wagen- ein lustiger Koch, den ein fremder Graf in Dienste genommen, und der nun an den Ort seiner Bestimmung reiste. Der Tag war recht heiß gewesen, der Postwagen kam in einem langsamen Zuge von Grasburg hergeschlichen, und der Bronnenmacher wie der Pfarrer klagten gar lamentabel über Durst und Hunger.

Der Koch hing von Zeit zu Zeit wegen des Mücken- und Sonnenstiches, wie er vorgab, ein Tuch über sein Gesicht; ich bemerkte aber gar wohl, wie er da jedesmal eine Hühner- oder Fasanenkeule unter dem Tuche zum Munde brachte, deren Geruch dem Pfarrer und dem Bronnenmacher gar ärgerlich in die Nase stach.

Dies bemerkte der Koch wohl, war aber ein lustiger Kerl, weswegen er auch also sprach: »Eine Krebssuppe wäre jetzt nicht übel!«

»Hum!« schmunzelte der Bronnenmacher.

»Ja! wenn ich jetzt eine Tafel zu besorgen hätte, so würde ich gewiß mit einer Krebssuppe den Anfang machen, und die müßte dann eine solche saft- und kraftvolle Brühe haben, daß die Krebse, von ihr gestärkt, wieder lebendig würden und vor Entzücken mit den Schwänzen wedelten, auch allerlei humoristische Stellungen machten, welches gewiß wunderlich anzusehen wäre.

Auf diese Krebssuppe müßte dann notwendig Rindszunge mit Sardellensauce folgen.«[92]

»Hum!« – schmunzelte der Pfarrer.

»O! das ist vortrefflich! meine Herren! greifen Sie nur keck zu; hier ist auch eine Zitrone zum Ausdrücken darauf!«

Der Bronnenmacher und der Pfarrer steckten die dürren Zungen bei diesen Worten heraus und ließen sie so hängen.

»Aber diese Fleischpastete!«

»Hum!« – machte der Bronnenmacher, indem er sich auf die Zunge biß.

»Herr Pfarrer, nehmen Sie den Deckel keck herab!«

Der Pfarrer lächelte konvulsivisch.

»Da sehen Sie in der gewürzreichsten Sauce zwei wohlappretierte Hähne, die krähen vor Entzücken, daß sie so wohl schmecken, und schlagen mit den Flügeln an den Magen, der mit gebratenen Kastanien gefüllt ist.«

Der Bronnenmacher strich sich mit der Hand über den Bauch.

»Ich muß selbst gestehen,« sprach der Koch weiter, »sie schmecken auch ganz vortrefflich! Greifen Sie doch zu! Hier dies Pfaffenschnitzchen, das muß ganz exzellent sein, so appetitlich weiß, mit einem braunen Rande, wie Butter. Mein! drücken Sie doch einige Tropfen von dieser saftigen Zitrone darauf!«

»Nun kann ich's nicht mehr aushalten«, schrie der Pfarrer und biß dem Bronnenmacher in die fette Backe.

Der Bronnenmacher tat einen lamentablen Schrei.

»Ruhig,« sprach der Koch, »sonst werft ihr diese Schüssel mit Kraut um; hu! das geht noch über alles! Mit den gewürzreichsten Nürnberger Bratwürsten ist es garniert. Jetzt stech' ich mit der Gabel in eine derselben, und die duftreichste Brühe spritzt wie ein Springbronnen hintennach; und dann ein Glas alten Steinwein darauf, der Teufel!«

»Meuchelmörder!« sprach der Pfarrer und bog das matte Haupt.


Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 92-93.
Lizenz:
Kategorien: