Erste Szene

[171] Rossitz. Zimmer im Schlosse.

Rupert und Santing treten auf.


RUPERT.

Das eben ist der Fluch der Macht, daß sich

Dem Willen, dem leicht widerruflichen,

Ein Arm gleich beut, der fest unwiderruflich

Die Tat ankettet. Nicht ein Zehnteil würd

Ein Herr des Bösen tun, müßt er es selbst

Mit eignen Händen tun. Es heckt sein bloßer

Gedanken Unheil aus, und seiner Knechte

Geringster hat den Vorteil über ihn,

Daß er das Böse wollen darf.

SANTING.

Ich kann

Das Herrschen dir nicht lehren, du nicht das

Gehorchen mir. Was Dienen ist, das weiß

Ich auf ein Haar. Befiehl, daß ich dir künftig

Nicht mehr gehorche, wohl so will ich dir

Gehorchen.

RUPERT.

Dienen! Mir gehorchen! Dienen!

Sprichst du doch wie ein Neuling. Hast du mir

Gedient? Soll ich dir erklären, was

Ein Dienst sei? Nützen, nützen soll er. – Was

Denn ist durch deinen mir geworden, als

Der Reue ekelhaft Gefühl?

Es ist

Mir widerlich, ich will's getan nicht haben.

Auf deine Kappe nimm's – ich steck dich in

Den Schloßturm. –

SANTING.

Mich?[171]

RUPERT.

Kommst du heraus, das schöne

Gebirgslehn wird dir nicht entgehn.


Eustache tritt auf.


RUPERT steht auf, zu Santing, halblaut.

Es bleibt

Dabei. In vierzehn Tagen bist du frei.


Zu Eustache.


Was willst du?

EUSTACHE.

Stör ich?

RUPERT zu Santing.

Gehe! Meinen Willen

Weißt du. Solange ich kein Knecht, soll mir

Den Herrn ein andrer auf der Burg nicht spielen.

Den Zügel hab ich noch, sie sollen sich

Gelassen dran gewöhnen, müßten sie

Die Zähne sich daran zerbeißen. Der

Zuerst den Herold angetastet, hat

Das Beil verwirkt. – Dich steck ich in den Schloßturm.

– Kein Wort, sag ich, wenn dir dein Leben lieb!

Du hast ein Wort gedeutet, eigenmächtig,

Rebellisch deines Herren Willen mißbraucht –

– Ich schenk dir 's Leben. Fort! Tritt ab.


Santing ab. Zu Eustache.


Was willst du?

EUSTACHE.

Mein Herr, und mein Gemahl –

RUPERT.

Wenn du

Die Rede, die du kürzlich hier begonnen,

Fortsetzen willst, so spar es auf; du siehst,

Ich bin soeben nicht gestimmt, es an

Zu hören.

EUSTACHE.

Wenn ich Unrecht dir getan –

RUPERT.

So werd ich mich vor dir wohl reinigen müssen?

Soll ich etwa das Hofgesinde rufen,

Und öffentlich dir Rede stehn?

EUSTACHE.

O mein

Gemahl, ein Weib glaubt gern an ihres Mannes

Unschuld, und küssen will ich deine Hand[172]

Mit Tränen, Freudentränen, wenn sie rein

Von diesem Morde.

RUPERT.

Wissen es die Leute,

Wie's zugegangen?

EUSTACHE.

Selber spricht die Tat.

Das Volk war aufgehetzt von Santing.

RUPERT.

Daß

Ich auf dein Rufen an das Fenster nicht

Erschienen, ist mir selber unerklärlich,

Sehr schmerzhaft ist mir die Erinnerung.

EUSTACHE.

Es würde fruchtlos doch gewesen sein.

Er sank so schleunig hin, daß jede Rettung,

Die schnellste selbst, zu spät gekommen wäre.

Auch ganz aus seiner Schranke war das Volk,

Und hätte nichts von deinem Wort gehört.

RUPERT.

Doch hätt ich mich gezeigt –

EUSTACHE.

Nun freilich wohl.

DIE KAMMERZOFE stürzt herein, umfaßt Eustachens Füße.

Um deine Hülfe, Gnädigste! Erbarmung,

Gebieterin! Sie führen ihn zum Tode,

Errettung von dem Tod! Laß ihn, laß mich,

Laß uns nicht aufgeopfert werden!

EUSTACHE.

Dich?

Bist du von Sinnen?

DIE KAMMERZOFE.

Meinen Friedrich. Er

Hat ihn zuerst getroffen.

EUSTACHE.

Wen?

DIE KAMMERZOFE.

Den Ritter,

Den dein Gemahl geboten zu erschlagen.

RUPERT.

Geboten – ich! Den Teufel hab ich. – Santing

Hat's angestiftet!

DIE KAMMERZOFE steht auf.

Santing hat's auf dein

Geheiß gestiftet.

RUPERT.

Schlange, giftige!

Aus meinen Augen, fort!

DIE KAMMERZOFE.

Auf dein Geheiß[173]

Hat's Santing angestiftet. Selbst hab ich's

Gehört, wie du's dem Santing hast befohlen.

RUPERT.

– Gehört? – Du selbst?

DIE KAMMERZOFE.

Ich stand im Schloßflur, stand

Dicht hinter dir, ich hörte jedes Wort,

Doch du warst blind vor Wut, und sahst mich nicht.

Es haben's außer mir noch zwei gehört.

RUPERT.

– 's ist gut. Tritt ab.

DIE KAMMERZOFE.

So schenkst du ihm das Leben?

RUPERT.

's soll aufgeschoben sein.

DIE KAMMERZOFE.

O Gott sei Dank!

Und dir sei Dank, mein bester Herr, es ist

Ein braver Bursche, der sein Leben wird

An deines setzen.

RUPERT.

Gut, sag ich. Tritt ab.


Kammerzofe ab.

Rupert wirft sich auf einen Sessel; Eustache nähert sich ihm; Pause.


EUSTACHE.

Mein teurer Freund. –

RUPERT.

Laß mich allein, Eustache.

EUSTACHE.

O laß mich bleiben. – O dies menschlich schöne

Gefühl, das dich bewegt, löscht jeden Fleck,

Denn Reue ist die Unschuld der Gefallnen.

An ihrem Glanze weiden will ich mich,

Denn herrlicher bist du mir nie erschienen,

Als jetzt.

RUPERT.

Ein Elender bin ich. –

EUSTACHE.

Du glaubst

Es. – Ah! Der Augenblick nach dem Verbrechen

Ist oft der schönste in dem Menschenleben,

Du weißt's nicht – ach, du weißt es nicht und grade

Das macht dich herrlich. Denn nie besser ist

Der Mensch, als wenn er es recht innig fühlt,

Wie schlecht er ist.

RUPERT.

Es kann mich keiner ehren,

Denn selbst ein Ekel bin ich mir.[174]

EUSTACHE.

Den soll

Kein Mensch verdammen, der sein Urteil selbst

Sich spricht. O hebe dich! Du bist so tief

Bei weitem nicht gesunken, als du hoch

Dich heben kannst.

RUPERT.

Und wer hat mich so häßlich

Gemacht? O hassen will ich ihn. –

EUSTACHE.

Rupert!

Du könntest noch an Rache denken?

RUPERT.

Ob

Ich an die Rache denke? – Frage doch,

Ob ich noch lebe?

EUSTACHE.

Ist es möglich? O

Nicht diesen Augenblick zum wenigsten

Wirst du so bös beflecken – Teufel nicht

In deiner Seele dulden, wenn ein Engel

Noch mit mir spricht aus deinen Zügen.

RUPERT.

Soll

Ich dir etwa erzählen, daß Sylvester

Viel Böses mir getan? Und soll ich's ihm

Verzeihn, als wär es nur ein Weiberschmollen?

Er hat mir freilich nur den Sohn gemordet,

Den Knaben auch, der lieb mir wie ein Sohn. –

EUSTACHE.

O sprich's nicht aus! Wenn dich die Tat gereut,

Die blutige, die du gestiftet, wohl,

So zeig's, und ehre mindestens im Tode

Den Mann, mit dessen Leben du gespielt.

Der Abgeschiedene hat es beschworen:

Unschuldig ist Sylvester!


Rupert sieht ihr starr ins Gesicht.


So unschuldig

An Peters Mord, wie wir an jenem Anschlag

Auf Agnes' Leben.

RUPERT.

Über die Vergleichung!

EUSTACHE.

Warum nicht mein Gemahl? Denn es liegt alles[175]

Auf beiden Seiten gleich, bis selbst auf die

Umstände noch der Tat. Du fandst Verdächt'ge

Bei deinem toten Kinde, so in Warwand;

Du hiebst sie nieder, so in Warwand; sie

Gestanden Falsches, so in Warwand; du

Vertrautest ihnen, so in Warwand. – Nein,

Der einz'ge Umstand ist verschieden, daß

Sylvester selber doch dich freispricht.

RUPERT.

O

Gewendet, listig, haben sie das ganze

Verhältnis, mich, den Kläger, zum Verklagten

Gemacht. – Und um das Bubenstück, das mich

Der ganzen Welt als Mörder zeigt, noch zu

Vollenden, so verzeiht er mir. –

EUSTACHE.

Rupert!

O welch ein häßlicher Verdacht, der schon

Die Seele schändet, die ihn denkt.

RUPERT.

Verdacht

Ist's nicht in mir, es ist Gewißheit. Warum

Meinst du, hätt er mir wohl verziehen, da

Der Anschein doch so groß, als nur, damit

Ich gleich gefällig mich erweise? Er

Kann sich nicht reinigen, er kann es nicht,

Und nun, damit ich's ihm erlaß, erläßt

Er's mir. – Nun, halb zum wenigsten soll ihm

Das Bubenstück gelingen nur. Ich nehme

Den Mord auf mich – und hätt der Jung das Mädchen

Erschlagen, wär's mir recht.

EUSTACHE.

Das Mädchen? O

Mein Gott, du wirst das Mädchen doch nicht morden?

RUPERT.

Die Stämme sind zu nah gepflanzet, sie

Zerschlagen sich die Äste.

EUSTACHE zu seinen Füßen.

O verschone,

Auf meinen Knien bitt ich dich verschone

Das Mädchen – wenn dein eigner Sohn dir lieb,

Wenn seine Liebe lieb dir, wenn auf immer[176]

Du seinen Fluch dir nicht bereiten willst,

Verschone Agnes. –

RUPERT.

Welche seltsame

Anwandlung? Mir den Fluch des Sohnes?

EUSTACHE.

Ja,

Es ist heraus – auf meinen Knien beschwöre

Ich dich, bei jener ersten Nacht, die ich

Am Tage vor des Priesters Spruch dir schenkte,

Bei unserm einz'gen Kind, bei unserm letzten

Das du hinopferst, und das du doch nicht

Geboren hast, wie ich, o mache diesem

Unselig-bösen Zwist ein Ende, der

Bis auf den Namen selbst den ganzen Stamm

Der Schroffensteine auszurotten droht.

Gott zeigt den Weg selbst zur Versöhnung dir.

Die Kinder lieben sich, ich habe sichre

Beweise. –

RUPERT.

Lieben?

EUSTACHE.

Unerkannt hat Gott

In dem Gebirge sie vereint.

RUPERT.

Gebirg?

EUSTACHE.

Ich weiß es von Jeronimus, der Edle!

Vortreffliche! Sein eigner Plan war es

Die Stämme durch die Heirat zu versöhnen,

Und selbst sich opfernd, trat er seine Braut

Dem Sohne seines Freundes ab. – O ehre

Im Tode seinen Willen, daß sein Geist

In deinen Träumen dir nicht mit Entsetzen

Begegne. – Sprich, o sprich den Segen aus!

Mit Tränen küß ich deine Kniee, küsse

Mit Inbrunst deine Hand, die ach! noch schuldig

Was sie am Altar mir versprach – o brauche

Sie einmal doch zum Wohltun, gib dem Sohne

Die Gattin, die sein Herz begehrt, und dir

Und mir und allen Unsrigen den Frieden. –[177]

RUPERT.

Nein, sag mir, hab ich recht gehört, sie sehen

Sich im Gebirge, Ottokar und Agnes?

EUSTACHE steht auf.

O Gott, mein Heiland, was hab ich getan?

RUPERT steht auf.

Das freilich ist ein Umstand von Bedeutung.


Er pfeift; zwei Diener erscheinen.


EUSTACHE.

Wär's möglich? Nein. – O Gott sei Dank! Das wäre

Ja selbst für einen Teufel fast zu boshaft. –

RUPERT zu den Dienern.

Ist noch der Graf zurück nicht vom Spaziergang?

EIN DIENER.

Nein, Herr.

RUPERT.

Wo ist der Santing?

EIN DIENER.

Bei der Leiche.

RUPERT.

Führ mich zu ihm.


Ab.


EUSTACHE ihm nach.

Rupert! Rupert! O höre. –


Alle ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 171-178.
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