Dritter Auftritt

[215] Helena tritt auf. Die Vorigen.


HELENA.

Ihr Kinder, Volk des besten Vaters, das

Von allen Hügeln rauschend niederströmt,

Was treibt mit so viel Zungen euch, da kaum[215]

Im Osten sich der junge Tag verkündet,

Zu den Zypressen dieses Zeltes her?

Habt ihr das ernste Kriegsgesetz vergessen,

Das Stille in der Nacht gebeut, und ist

Die Kriegersitt euch fremd, daß euch ein Weib

Muß lehren, wie man dem Bezirk sich naht,

Wo sich der kühne Schlachtgedank ersinnt?

Ist das, ihr ew'gen Mächte dort, die Liebe,

Die eurer Lippe stets entströmt, wenn ihr

Den Vater mir, den alten, trefflichen,

Mit Waffenklirrn und lautem Namensruf,

Emporschreckt aus des Schlummers Arm, der eben

Auf eine Morgenstund ihn eingewiegt?

Ihn, der, ihr wißt's, drei schweißerfüllte Nächte

Auf offnem Seuchenfelde zugebracht,

Verderben, wütendem, entgegenkämpfend,

Das ringsum ein von allen Seiten bricht! –

Traun! Dringendes, was es auch immer sei,

Führt euch hierher, und hören muß ich es;

Denn Männer eurer Art, sie geben doch

Stets was zu denken, wenn sie etwas tun.

DER GREIS.

Erhabne Guiskardstochter, du vergibst uns!

Wenn dieser Ausschuß hier, vom Volk begleitet,

Ein wenig überlaut dem Zelt genaht,

So straft es mein Gefühl: doch dies erwäge,

Wir glaubten Guiskard nicht im Schlummer mehr.

Die Sonne steht, blick auf, dir hoch im Scheitel,

Und seit der Normann denkt, erstand sein Haupt

Um Stunden, weißt du, früher stets, als sie.

Not führt uns, länger nicht erträgliche,

Auf diesen Vorplatz her, und seine Kniee,

Um Rettung jammernd, werden wir umfassen;

Doch wenn der Schlaf ihn jetzt noch, wie du sagst,

In Armen hält, ihn, den endlose Mühe

Entkräftet auf das Lager niederwarf:

So harren wir in Ehrfurcht lautlos hier,[216]

Bis er das Licht begrüßet, mit Gebet

Die Zeit für seine Heiterkeit erfüllend.

HELENA.

Wollt ihr nicht lieber wiederkehren, Freunde?

Ein Volk, in so viel Häuptern rings versammelt,

Bleibt einem Meere gleich, wenn es auch ruht,

Und immer rauschet seiner Wellen Schlag.

Stellt euch, so wie ihr seid, in Festlichkeit

Bei den Panieren eures Lagers auf:

Sowie des Vaters erste Wimper zuckt,

Den eignen Sohn send ich, und meld es euch.

DER GREIS.

Laß, laß uns, Teuerste! Wenn dich kein andrer

Verhaltner Grund bestimmt, uns fortzuschicken:

Für deines Vaters Ruhe sorge nicht.

Sieh, deines holden Angesichtes Strahl

Hat uns beschwichtiget: die See fortan,

Wenn rings der Winde muntre Schar entflohn,

Die Wimpel hängen von den Masten nieder,

Und an dem Schlepptau wird das Schiff geführt:

Sie ist dem Ohr vernehmlicher, als wir.

Vergönn uns, hier auf diesem Platz zu harren,

Bis Guiskard aus dem Schlafe auferwacht.

HELENA.

Gut denn. Es sei, ihr Freund'. Und irr ich nicht,

Hör ich im Zelt auch seine Tritte schon.


Ab.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 215-217.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Robert Guiskard [Fragment]
Robert Guiskard, Herzog der Normänner. Fragment aus dem Trauerspiel. (Bd. I/2)

Buchempfehlung

Haffner, Carl

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus. Operette in drei Aufzügen

Die Fledermaus ist eine berühmtesten Operetten von Johann Strauß, sie wird regelmäßig an großen internationalen Opernhäusern inszeniert. Der eingängig ironische Ton des Librettos von Carl Haffner hat großen Anteil an dem bis heute währenden Erfolg.

74 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon