Zehnter Auftritt

[285] Die Vorigen ohne Licht. Späterhin einige Mägde.


ADAM aufstehend.

Inzwischen könnte man, wenn's so gefällig,

Vom Sitze sich ein wenig lüften –?

WALTER.

Hm! O ja.

Was ich sagen wollt –

ADAM.

Erlaubt Ihr gleichfalls,

Daß die Partein, bis Frau Brigitt erscheint –?

WALTER.

Was? Die Partein?

ADAM.

Ja, vor die Tür, wenn Ihr –

WALTER für sich.

Verwünscht!


Laut.


Herr Richter Adam, wißt Ihr was?

Gebt ein Glas Wein mir in der Zwischenzeit.

ADAM.

Von ganzem Herzen gern. He! Margarete!

Ihr macht mich glücklich, gnäd'ger Herr. – Margrete!


Die Magd tritt auf.


DIE MAGD.

Hier.

ADAM.

Was befehlt Ihr? – Tretet ab, ihr Leute.

Franz? – Auf dem Vorsaal draußen. – Oder Rhein?[285]

WALTER.

Von unserm Rhein.

ADAM.

Gut. – Bis ich rufe. Marsch!

WALTER.

Wohin?

ADAM.

Geh, vom versiegelten, Margrete. –

Was? Auf den Flur bloß draußen. – Hier. – Der Schlüssel.

WALTER.

Hm! Bleibt.

ADAM.

Fort! Marsch, sag ich! – Geh, Margarete!

Und Butter, frisch gestampft, Käs auch aus Limburg,

Und von der fetten pommerschen Räuchergans.

WALTER.

Halt! Einen Augenblick! Macht nicht so viel

Umständ, ich bitt Euch sehr, Herr Richter.

ADAM.

Schert

Zum Teufel euch, sag ich! Tu, wie ich sagte.

WALTER.

Schickt Ihr die Leute fort, Herr Richter?

ADAM.

Euer Gnaden?

WALTER.

Ob Ihr –?

ADAM.

Sie treten ab, wenn Ihr erlaubt.

Bloß ab, bis Frau Brigitt erscheint.

Wie, oder soll's nicht etwa –?

WALTER.

Hm! Wie Ihr wollt.

Doch ob's der Mühe sich verlohnen wird?

Meint Ihr, daß es so lange Zeit wird währen,

Bis man im Ort sie trifft?

ADAM.

's ist heute Holztag,

Gestrenger Herr. Die Weiber größtenteils

Sind in den Fichten, Sträucher einzusammeln.

Es könnte leicht –

RUPRECHT.

Die Muhme ist zu Hause.

WALTER.

Zu Haus. Laßt sein.

RUPRECHT.

Die wird sogleich erscheinen.

WALTER.

Die wird uns gleich erscheinen. Schafft den Wein.

ADAM für sich.

Verflucht!

WALTER.

Macht fort. Doch nichts zum Imbiß, bitt ich,

Als ein Stück trocknen Brotes nur, und Salz.[286]

ADAM für sich.

Zwei Augenblicke mit der Dirn allein –


Laut.


Ach trocknes Brot! Was! Salz! Geht doch.

WALTER.

Gewiß.

ADAM.

Ei, ein Stück Käs aus Limburg mindstens. Käse

Macht erst geschickt die Zunge, Wein zu schmecken.

WALTER.

Gut. Ein Stück Käse denn, doch weiter nichts.

ADAM.

So geh. Und weiß, von Damast, aufgedeckt.

Schlecht alles zwar, doch recht.


Die Magd ab.


Das ist der Vorteil

Von uns verrufnen hagestolzen Leuten,

Daß wir, was andre knapp und kummervoll,

Mit Weib und Kindern täglich teilen müssen,

Mit einem Freunde zur gelegnen Stunde,

Vollauf genießen.

WALTER.

Was ich sagen wollte –

Wie kamt Ihr doch zu Eurer Wund, Herr Richter?

Das ist ein böses Loch, fürwahr, im Kopf, das!

ADAM.

– Ich fiel.

WALTER.

Ihr fielt. Hm! So. Wann? Gestern abend?

ADAM.

Heut, Glock halb sechs, verzeiht, am Morgen, früh,

Da ich soeben aus dem Bette stieg.

WALTER.

Worüber?

ADAM.

Über – gnäd'ger Herr Gerichtsrat,

Die Wahrheit Euch zu sagen, über mich.

Ich schlug Euch häuptlings an den Ofen nieder,

Bis diese Stunde weiß ich nicht, warum?

WALTER.

Von hinten?

ADAM.

Wie? Von hinten –

WALTER.

Oder vorn?

Ihr habt zwo Wunden, vorne ein' und hinten.

ADAM.

Von vorn und hinten. – Margarete!


Die beiden Mägde mit Wein usw. Sie decken auf, und gehen wieder ab.


WALTER.

Wie?

ADAM.

Erst so, dann so. Erst auf die Ofenkante,[287]

Die vorn die Stirn mir einstieß, und sodann

Vom Ofen rückwärts auf den Boden wieder,

Wo ich mir noch den Hinterkopf zerschlug.


Er schenkt ein.


Ist's Euch gefällig?

WALTER nimmt das Glas.

Hättet Ihr ein Weib,

So würd ich wunderliche Dinge glauben,

Herr Richter.

ADAM.

Wieso?

WALTER.

Ja, bei meiner Treu,

So rings seh ich zerkritzt Euch und zerkratzt.

ADAM lacht.

Nein, Gott sei Dank! Fraunnägel sind es nicht.

WALTER.

Glaub's. Auch ein Vorteil noch der Hagestolzen.

ADAM fortlachend.

Strauchwerk, für Seidenwürmer, das man trocknend

Mir an dem Ofenwinkel aufgesetzt. –

Auf Euer Wohlergehn!


Sie trinken.


WALTER.

Und grad auch heut

Noch die Perücke seltsam einzubüßen!

Die hätt Euch Eure Wunden noch bedeckt.

ADAM.

Ja, ja. Jedwedes Übel ist ein Zwilling. –

Hier – von dem fetten jetzt – kann ich –?

WALTER.

Ein Stückchen.

Aus Limburg?

ADAM.

Rect' aus Limburg, gnäd'ger Herr.

WALTER.

– Wie Teufel aber, sagt mir, ging das zu?

ADAM.

Was?

WALTER.

Daß Ihr die Perücke eingebüßt.

ADAM.

Ja seht. Ich sitz und lese gestern abend

Ein Aktenstück, und weil ich mir die Brille

Verlegt, duck ich so tief mich in den Streit,

Daß bei der Kerze Flamme lichterloh

Mir die Perücke angeht. Ich, ich denke,

Feu'r fällt vom Himmel auf mein sündig Haupt,

Und greife sie, und will sie von mir werfen;[288]

Doch eh ich noch das Nackenband gelöst,

Brennt sie wie Sodom und Gomorrha schon.

Kaum daß ich die drei Haare noch mir rette.

WALTER.

Verwünscht! Und Eure andre ist in der Stadt.

ADAM.

Bei dem Perückenmacher. – Doch zur Sache.

WALTER.

Nicht allzurasch, ich bitt, Herr Richter Adam.

ADAM.

Ei, was! Die Stunde rollt. Ein Gläschen hier.


Er schenkt ein.


WALTER.

Der Lebrecht – wenn der Kauz dort wahr gesprochen –

Er auch hat einen bösen Fall getan.

ADAM.

Auf meine Ehr.


Er trinkt.


WALTER.

Wenn hier die Sache,

Wie ich fast fürchte, unentworren bleibt,

So werdet Ihr, in Eurem Ort, den Täter

Leicht noch aus seiner Wund entdecken können.


Er trinkt.


Niersteiner?

ADAM.

Was?

WALTER.

Oder guter Oppenheimer?

ADAM.

Nierstein. Sieh da! Auf Ehre! Ihr versteht's

Aus Nierstein, gnäd'ger Herr, als hätt ich ihn geholt.

WALTER.

Ich prüft ihn, vor drei Jahren, an der Kelter.


Adam schenkt wieder ein.


– Wie hoch ist Euer Fenster – dort! Frau Marthe.

FRAU MARTHE.

Mein Fenster?

WALTER.

Das Fenster jener Kammer, ja,

Worin die Jungfer schläft?

FRAU MARTHE.

Die Kammer zwar

Ist nur vom ersten Stock, ein Keller drunter,

Mehr als neun Fuß das Fenster nicht vom Boden;

Jedoch die ganze, wohlerwogene

Gelegenheit sehr ungeschickt zum Springen.

Denn auf zwei Fuß steht von der Wand ein Weinstock,

Der seine knot'gen Äste rankend hin

Durch ein Spalier treibt, längs der ganzen Wand:[289]

Das Fenster selbst ist noch davon umstrickt.

Es würd ein Eber, ein gewaffneter,

Müh mit den Fängern haben, durchzubrechen.

ADAM.

Es hing auch keiner drin.


Er schenkt sich ein.


WALTER.

Meint Ihr?

ADAM.

Ach, geht!


Er trinkt.


WALTER zu Ruprecht.

Wie traf Er denn den Sünder? Auf den Kopf?

ADAM.

Hier.

WALTER.

Laßt.

ADAM.

Gebt her.

WALTER.

's ist halb noch voll.

ADAM.

Will's füllen.

WALTER.

Ihr hört's.

ADAM.

Ei, für die gute Zahl.

WALTER.

Ich bitt Euch.

ADAM.

Ach, was! Nach der Pythagoräer – Regel.


Er schenkt ihm ein.


WALTER wieder zu Ruprecht.

Wie oft traf Er dem Sünder denn den Kopf?

ADAM.

Eins ist der Herr. Zwei ist das finstre Chaos;

Drei ist die Welt. Drei Gläser lob ich mir.

Im dritten trinkt man mit den Tropfen Sonnen,

Und Firmamente mit den übrigen.

WALTER.

Wie oftmals auf den Kopf traf Er den Sünder?

Er, Ruprecht, Ihn dort frag ich!

ADAM.

Wird man's hören?

Wie oft trafst du den Sündenbock? Na, heraus!

Gotts Blitz, seht, weiß der Kerl wohl selbst, ob er –

Vergaßt du's?

RUPRECHT.

Mit der Klinke?

ADAM.

Ja, was weiß ich.

WALTER.

Vom Fenster, als Er nach ihm herunterhieb?

RUPRECHT.

Zweimal, ihr Herrn.

ADAM.

Halunke! das behielt er!


Er trinkt.
[290]

WALTER.

Zweimal! Er konnt ihn mit zwei solchen Hieben

Erschlagen, weiß Er –?

RUPRECHT.

Hätt ich ihn erschlagen,

So hätt ich ihn. Es wär mir grade recht.

Läg er hier vor mir, tot, so könnt ich sagen,

Der war's, ihr Herrn, ich hab euch nicht belogen.

ADAM.

Ja, tot! das glaub ich. Aber so –


Er schenkt ein.


WALTER.

Konnt Er ihn denn im Dunkeln nicht erkennen?

RUPRECHT.

Nicht einen Stich, gestrenger Herr. Wie sollt ich?

ADAM.

Warum sperrtst du nicht die Augen auf – Stoßt an!

RUPRECHT.

Die Augen auf! Ich hatt sie aufgesperrt.

Der Satan warf sie mir voll Sand.

ADAM in den Bart.

Voll Sand, ja!

Warum sperrtst du deine großen Augen auf.

– Hier. Was wir lieben, gnäd'ger Herr! Stoßt an!

WALTER.

– Was recht und gut und treu ist, Richter Adam!


Sie trinken.


ADAM.

Nun denn, zum Schluß jetzt, wenn's gefällig ist.


Er schenkt ein.


WALTER.

Ihr seid zuweilen bei Frau Marthe wohl,

Herr Richter Adam. Sagt mir doch,

Wer, außer Ruprecht, geht dort aus und ein.

ADAM.

Nicht allzuoft, gestrenger Herr, verzeiht.

Wer aus und ein geht, kann ich Euch nicht sagen.

WALTER.

Wie? Solltet Ihr die Witwe nicht zuweilen

Von Eurem sel'gen Freund besuchen?

ADAM.

Nein, in der Tat, sehr selten nur.

WALTER.

Frau Marthe!

Habt Ihr's mit Richter Adam hier verdorben?

Er sagt, er spräche nicht mehr bei Euch ein?

FRAU MARTHE.

Hm! Gnäd'ger Herr, verdorben? Das just nicht.

Ich denk er nennt mein guter Freund sich noch.

Doch daß ich oft in meinem Haus ihn sähe,

Das vom Herrn Vetter kann ich just nicht rühmen.

Neun Wochen sind's, daß er's zuletzt betrat,

Und auch nur da noch im Vorübergehn.[291]

WALTER.

Wie sagt Ihr?

FRAU MARTHE.

Was?

WALTER.

Neun Wochen wären's –?

FRAU MARTHE.

Neun

Ja – Donnerstag sind's zehn. Er bat sich Samen

Bei mir, von Nelken und Aurikeln aus.

WALTER.

Und – sonntags – wenn er auf das Vorwerk geht –?

FRAU MARTHE.

Ja, da – da guckt er mir ins Fenster wohl,

Und saget guten Tag zu mir und meiner Tochter;

Doch dann so geht er wieder seiner Wege.

WALTER für sich.

Hm! Sollt ich auch dem Manne wohl –


Er trinkt.


Ich glaubte,

Weil Ihr die Jungfer Muhme dort zuweilen

In Eurer Wirtschaft braucht, so würdet Ihr

Zu Dank die Mutter dann und wann besuchen.

ADAM.

Wieso, gestrenger Herr?

WALTER.

Wieso? Ihr sagtet,

Die Jungfer helfe Euren Hühnern auf,

Die Euch im Hof erkranken. Hat sie nicht

Noch heut in dieser Sach Euch Rat erteilt?

FRAU MARTHE.

Ja, allerdings, gestrenger Herr, das tut sie.

Vorgestern schickt' er ihr ein krankes Perlhuhn

Ins Haus, das schon den Tod im Leibe hatte.

Vorm Jahr rettete sie ihm eins vom Pips,

Und dies auch wird sie mit der Nudel heilen:

Jedoch zum Dank ist er noch nicht erschienen.

WALTER verwirrt.

– Schenkt ein, Herr Richter Adam, seid so gut.

Schenkt gleich mir ein. Wir wollen eins noch trinken.

ADAM.

Zu Eurem Dienst. Ihr macht mich glücklich. Hier.


Er schenkt ein.


WALTER.

Auf Euer Wohlergehn! – Der Richter Adam,

Er wird früh oder spät schon kommen.

FRAU MARTHE.

Meint Ihr? Ich zweifle.

Könnt ich Niersteiner, solchen, wie Ihr trinkt,[292]

Und wie mein sel'ger Mann, der Kastellan,

Wohl auch, von Zeit zu Zeit, im Keller hatte,

Vorsetzen dem Herrn Vetter, wär's was anders:

Doch so besitz ich nichts, ich arme Witwe,

In meinem Hause, das ihn lockt.

WALTER.

Um so viel besser.


Quelle:
Heinrich von Kleist: Werke und Briefe in vier Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 1978, S. 285-293.
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