Zweiter Auftritt

[945] Doktor Galbo, klopft an, Guelfo, hernach Grimaldi.


GUELFO. Näher! Näher!

GALBO. Wie befinden sich Eure Gnaden? Ich bin sehr erschrocken über die eilige Botschaft.

GUELFO. Zu viel Hitze, lieber Doktor! Zu viel Hitze!

GALBO fühlt den Puls. Unruhig, unruhig, sehr unruhig, gnädiger Herr! Aber ist's Wunder? Hier die Flaschen, und gewiß erst von der Jagd?

GUELFO. Davon mag's kommen; ich verfolgte ein Reh zu hastig. Setzen Sie sich doch. Ich hab letzthin über etwas mit Ihnen gesprochen – Wär mir nicht zu Kühlung zu helfen?

GALBO. Ich will gleich etwas aufschreiben.

GUELFO. Gut denn!

GALBO schreibt's und gibt's ihm.

GUELFO. Doktor, hier – nehmen Sie diesen Wechsel.[945]

GALBO. Gnädiger Herr!

GUELFO. Ohne Umstände! – Donner! was zaudern Sie? Sie wissen, daß ich das Gezier nicht leiden kann. Umsonst geb ich nichts!

GALBO. Sanfter, gnädiger Herr! So legt sich die Hitze nicht.

GUELFO. Lassen Sie mich mit dem Geschwätz! – Doktor!

GALBO. Was befehlen Sie?

GUELFO. Ich fragte Sie schon einigemal, und nun – Sie waren bei der Niederkunft meiner Mutter; nicht wahr?

GALBO. Das war ich – die schrecklichste! Ich glaubte nicht, daß es die gnädige Gräfin überleben würde.

GUELFO. Denn sagen Sie mir schnell – hören Sie? so schnell, wie ich frage – wer von uns beiden erblickte zuerst das Licht? Guelfo oder Ferdinando?

GALBO. Das kann ich nicht sagen.

GUELFO. Doktor!

GALBO. Es ging so ängstlich, so schrecklich, und in der Sorge für die Gräfin, für die Kleinen, trug sich's zu –

GUELFO. Heraus mit, oder ich pack Sie an der Brust, und drück Ihnen das letzte Wort mit dem letzten Hauch heraus! He dann, bei meinem Leben! es wird Licht – Fort!

GALBO. Sie waren beide da, und man wußte nicht, welches der Erstgeborne war. Aber aus sichern Zeichen –

GUELFO. Behalten Sie den Wechsel, und gehn Sie! Fort, Doktor! Weiter brauch ich nichts. Und wenn Sie vorderhand ein Wort – verstehn Sie mich?

GALBO ab.

GUELFO. Grimaldi! Grimaldi! – Ha! was schüttelst du, Feuer? was reißt du in mir? Haben sie? Still! still! Laß mich zu mir kommen, und treib mich zur Raserei! Grimaldi! o ich will alles zerreißen! Vater! Vater! Mutter! ich will euch ausstreichen! will euch ausstreichen, euch bis aufs letzte Fäserchen aus dem Herzen reißen! Grimaldi!

GRIMALDI kömmt.

GUELFO faßt ihn an der Brust. Sieh mich an, Grimaldi! Sieh mich an, und häng an meiner Stirne! Zweifelst du, ob ich der Erstgeborne bin? Zweifelst du?

GRIMALDI. Guelfo, ich hab alles gehört; mich warf ein dumpfes Gefühl herum, daß ich nicht schlafen konnte. Donner und Wetter! steh da, Guelfo! Führt ihn an den Spiegel. Dieser Blick! dieses Wesen! diese sich ausbreitende menschenbeugende Glut[946] im schwarzen, großen, rollenden Auge! – Guelfo! Du bist für ein Königreich geboren. Eine weissagende Gottheit, mein Genius sagt mir's. Guelfo! Du bist Ferdinandos Bruder nicht. Ha! Wie kamst du unter das Geschlecht dieser Schwachen? Du bist vertauscht! O du bist so nicht geboren! Sieh dich an, königlicher Guelfo! Hast du nicht den verzehrenden Königsblick? Schlag mir vor die Stirne, wenn ich lüge! Mit diesen Empfindungen, mit diesem Denken, wie kamst du unter sie? Sieh dein Bild! Sieh dich! Edler! Edler! Guelfo! Guelfo! Guelfo!

GUELFO. Grimaldi, mich reißt ein Gedanke hin – meine Seele schwirrt blutig von Vorsatz zu Vorsatz; und der Rachgeist läßt sich schwarz vor mir nieder, und hascht mein Herz. Ha! laß mich fest stehen! Laß mich einig werden! Hörtest du den Doktor? Man wußte nicht, welcher es wäre, weil man nicht wissen wollte! weil seine heuchlerische, sanfte Miene schon damals der Eltern Herz an sich bannte! Mein starrer Blick riß schon damals ihr Herz von mir. Ha dann, Heuchler! ich will dich lehren! Herausgeben sollst du mir die Erstgeburt, herausgeben sollst du mir Vater und Mutter, herausgeben sollst du mir alles; oder ich will dich würgen, wie Kain, und verflucht, den Mord auf der Stirne, herumirren.

GRIMALDI. Lieber Guelfo, nicht so!

GUELFO. Mit mir Esaus Geschichte zu spielen, noch eh er stammlen konnte! Kost den Knaben! kost ihn fort! schließt ihn in die zärtlichen Arme! Herausreißen will ich ihn! Ihr stahlt mir alles, und gabt's ihm, weil ihr meinen Geist nicht fassen konntet. Grimaldi, als Knabe ward ich in Schatten gestellt, und er ans Licht gezogen; ihm alles doppelt gegeben, mir einfach. Fein ging man mit Heuchler Jakob um, und stieß den rauhen Esau weg. Wie denn? warum denn?

GRIMALDI. Was drängt sich auf in dir?

GUELFO. Tausend Bilder des Vergangnen. Wie er alles hatte! Kriegten wir Spielzeug, Zuckerbrot, das Beste hatt er. Und so mit allen Dingen, wie wir heranwuchsen. Um ein junges neapolitanisches Hengstchen flehte ich einstens, lag zu des alten Guelfos Füßen und netzte sie. Nichts! Ferdinando hatt es, ob er sich schon nicht im Sattel halten konnte, und blutig zurückkam. Da wollt er mir's geben; aber nieder stieß ich den flüchtigen Springer im Grimm. Da kreuzigten sie sich. Und nun dann, Grimaldi! alle Güter, alle Besitztümer ihm! mir[947] 500 Dukaten Apanage – das all, weil man nicht wußte, nicht wissen wollte –

GRIMALDI. Du bist des alten Guelfos Sohn nicht. Du bist außer dem Bette gezeugt. Hat er einen Zug, ein Fäserchen am Leibe, wie du? Guelfo!

GUELFO. Nun denn, heraus will ich's haben! Hörst du's brüllen? Heraus will ich's haben! Ich will meine Mutter in die Enge treiben, und bekennen soll sie! Ha! wie sie mich ausstießen, auf Reisen jagten, er mir mittlerweile diebisch des Vaters Gunst, Herz und Güter stahl! Grimaldi, diese Nacht will ich wachen, alle Umstände zusammenziehen, will alles deutlich sehen! Es ist hell, wie die Wahrheit. Aber reizen will ich meine Galle, mein Blut jagen, will sie alle hassen lernen! O wie mir alles glühend einfällt, daß sie's immer vorhatten! Dieser Umstand und dieser – ich will's zusammenziehen, und der Auswurf soll blutig ausfallen! Guelfos erster ich! Hörst du, wie die Wahrheit aus dem Echo zingelt: Guelfos erster du! – Grimaldi, wie wär's möglich? Sag nur! red nur!

GRIMALDI. Was weiß ich von! Mich ärgert nichts, als daß dir mitgespielt ist.

GUELFO. Martre mich nicht! Ich seh's, wie's aus deinem bleichen Gesicht, aus deinen stieren Augen herausblickt. Haßt du ihn nicht? und möchtst ihn haben, hinzuschleudern das Leben deines Mörders?

GRIMALDI. Guelfo! es kann mich einer beleidigt haben, ich kann's ihm vergeben haben. Noch einmal, was mich ärgert, ist, daß du zur Eiche aufgewachsen warst, nun dastehst, ein kleines dürres Bäumchen am Wege, für das der Bettler ebensowenig Ehrfurcht hat, als der Große, dich anstößt, und jeder sich ein Sprößchen abbricht, daß du kahl dastehest. Du allein hättst dein Haus in vorige Aufnahme gebracht durch deine Tapferkeit. Und wieviel würde gefehlt haben, wenn du Camilla geheiratet hättest, du hättest dich mit deinen und ihren Gütern zum Herzog aufgeschwungen; dann brav gearbeitet – Guelfo! ein Mensch mit diesem Sinn, mit dieser Festigkeit, mit dieser niederwerfenden Gewalt – Ich möchte rasend werden! Der Welt einen Mann zu stehlen, an dem sie sich geweidet hätte, wie an einer neuen Erscheinung! Ich muß aufhören; mich faßt eine üble Laune, und ich möchte dir raten, möchte – was will das auch! – Mich friert's und 's läuft mir kalt durch die Adern. Ich fürchte krank zu werden über mein Elend und[948] diese Nachricht. Guelfo! daß wir so hingestreckt sind! – Laß mich los! ich rede nichts mehr.

GUELFO. Und was brauch ich denn alles das? Fühl ich mich nicht, und weiß, wozu ich geschaffen bin? und weiß, wie man sich an mir versündigt hat? Grimaldi, ich würde mich selbst niederstoßen, augenblicks, wenn mir das nicht grimmig zubliese. Was denn? Mein Vater? meine Mutter? Sind sie's? Laß das nur, und spar dein wenig Otem, daß du fortlebst; ich will's schon drehen.

GRIMALDI. Nu meintwegen! Wer's gut treibt, der hat's gut! sagte mein Vater, und schickte mich mit 100 Dukaten in die Welt. Und weit wär ich mit kommen – Guelfo, wenn du einmal kalt bist, will ich dir's erzählen.

GUELFO. Geh nur, ich brauch's nicht. Wenn du mir begegnest, laß das die Losung sein: Guelfo, du schläfst! Diese Nacht will ich viel mit dir reden.

GRIMALDI. Ein Wort noch! Nimm alles zusammen! sieh dich an! sieh dich an, Guelfo, ob du sein Sohn bist? Halt's zusammen, ob ihr Zwillinge seid? Mir ist vieles dunkel noch bei der Geschichte, und ich bin so wenig aufgelegt, klar zu sehen – Der Tod hat sich längst um meine Gebeine gehängt; losreißen werd ich ihn diesmal nicht. Und finstres Denken, mein beleidigtes zerstoßnes Herz – Dieser Blick ist gut, Guelfo! Fahr fort! Bei alledem möcht ich Ferdinando kein Haar krümmen. Verfahr gut, hab's gut! Ich wollte, die Nacht und alle Nächte wären um.

GUELFO. Was ich worden wär! was ich worden wär! Guelfo, wie hat man schon bei deiner Geburt gearbeitet, dich zu ersticken! Und wenn ich mich anseh, anfühl, mein Mut hervorbricht – Fieberhafter Grimaldi, du streichelst die Tropfen von der Stirn, und mißt mich mit den Augen – staunst, wunderst dich, ziehst die Augenbraunen –

GRIMALDI. Einen großen Menschen in einem kleinen zu sehn. – Man kömmt! Guelfo! Ab.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 945-949.
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