Bardale

[52] Einen fröhlichen Lenz ward ich, und flog umher!

Diesen fröhlichen Lenz lehrete sorgsam mich

Meine Mutter, und sagte:

Sing, Bardale, den Frühling durch!


Hört der Wald dich allein, deine Gespielinnen

Flattern horchend nur sie dir um den Schattenast;

Singe dann, o Bardale,

Nachtigallen Gesänge nur.


Aber tritt er daher, der wie der wachsende

Ahorn schlank sich erhebt, komt er der Erde Gott,

Sing dann, glücklicher Sänger,

Tönevoller, und lyrischer!
[53]

Denn sie hören dich auch, die doch unsterblich sind!

Ihren göttlichsten Trieb lockt dein Gesang hervor.

Ach, Bardale, du singest

Liebe dann den Unsterblichen!


Ich entflog ihr, und sang, und der bewegte Hain

Und die Hügel umher hörten mein flötend Lied!

Und des Baches Gespräche

Sprachen leiser am Ufer hin.


Doch der Hügel, der Bach war nicht, die Eiche selbst

War der Gott nicht! und bald senkte den Ton mein Lied.

Denn ich sang dich, o Liebe,

Nicht Göttinnen, und Göttern nicht!


Jetzo kam sie herauf, unter des Schattens Nacht

Kam die edle Gestalt, lebender, als der Hain!

Schöner, als die Gefilde!

Eine von den Unsterblichen!


Welches neue Gefühl glühte mir! Ah der Blick

Ihres Auges! Der West hielt mich, ich sank schon hin!

Spräch die Stimme den Blick aus;

O so würde sie süsser seyn,
[54]

Als mein leisester Laut, als der gefühlteste,

Und gosungenste Ton, wenn mich die junge Lust

Von dem Zweige des Strauches

In die Wipfel des Hains entzückt!


Aug', ach Auge! dein Blick bleibt unvergesslich mir!

Und wie nennet das Lied? singen die Töne dich?

Nennt's dich, singen sie: Seele?

Bist du's, das die Unsterblichen


Zu Unsterblichen macht? Auge! wem gleich ich dich?

Bist du Bläue der Luft, wenn sie der Abendstern

Sanft mit Golde beschimmert?

Oder gleichest du jenem Bach,


Der dem Quell kaum entfloss? Schöner erblickte nie

Seine Rosen der Busch! heller ich selbst mich nie

Im Kristalle des Flusses,

Niederschwankend am Frühlingsspross.


O was sprach itzt ihr Blick? Hörtest du, Göttin, mich?

Eine Nachtigall du? Sang ich von Liebe dir?

Und was fliesset gelinder

Dir vom schmachtenden Aug' herab?
[55]

Ist das Liebe, was dir eilend vom Auge rinnt?

Deinen göttlichsten Trieb lockt ihn mein Lied hervor?

Welche sanfte Bewegung

Hebet dir die beseelte Brust?


Sag, wie heisset der Trieb, welcher dein Herz durchwallt?

Reizt ohn' ihn dich Iduns goldne Schaale noch?

Ist er himlische Tugend?

Oder Freud' in dem Hain Walhalls?


O gefeyert sey mir, blumiger zwölfter May,

Da die Göttin ich sah! aber gefeyerter

Seyst du unter den Mayen,

Wenn ich in den Umarmungen


Eines Jünglings sie seh, der die Beredtsamkeit

Dieser Augen, und euch fühlet, ihr Frühlinge

Dieser lächelnden Minen,

Und den Geist, der diess alles schuf!


Wars nicht, Fanny, der Tag? wars nicht der zwölfte May,

Als der Schatten dich rief? wars nicht der zwölfte May,

Der mir, weil ich allein war,

Öd' und traurig vorüberfloss?


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 1, Leipzig 1798, S. 52-56.
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