Der Kranz

[59] Dank euch, Griechen, dass ihr, was der Verstand vereint,

Wie dem Freunde den Freund,

Wie dem Jüngling die Braut Liebe, gewaltsam trent;

Wenn mit siegendem Reitz

Eure Sprache, wie Thau, euch von der Lippe träuft!

Denn wer träte mit euch

In die stäubende Bahn, wo es am Ziele grünt,

Säumt' euch das nicht im Lauf.

»Blumen sinds, was umher wir in der Flur zerstreun!«

Besser flöchtet ihr sie

Gleich in Kränze; so letzt' all des Geruches Duft

Jeden athmenden Zug.

Denn wer mag in der Flur immer umher sich drehn,

Suchen, ob irgendwo noch[60]

Lieg' ein Blümchen, es dann lesen, und sorgsam reihn?

Lieber nimt man den Kranz.

»Aber der Rithmos gebot's!« Phöbus Gesang ist der

Dichtern, wenn er gehorcht;

Ist Sirenengesang, wenn er gebeut: und doch

Trankt ihr mit durstigem Ohr.

Durft' er hersehen selbst da, wo es das Leben galt,

Welches der Dichter erschaft?

»Ach er lockte so sanft!« Und den verlockten sank

Viel des Lebens dahin!


Quelle:
Friedrich Gottlieb Klopstock: Oden, Band 2, Leipzig 1798, S. 59-61.
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