[83] Die Gräfin am Arm des Majors – Franz.
GRÄFIN. Sieh da, ein fremdes Gesicht! Vermutlich der Diener.
MAJOR. Mein Freund, kann man Seinen Herrn nicht sprechen?
FRANZ. Nein.
MAJOR. Nur auf wenige Minuten.
FRANZ. Er hat sich eingeschlossen.
GRÄFIN. Sag Er ihm, daß eine Dame hier auf ihn warte.
FRANZ. Dann macht er gar nicht auf.
GRÄFIN. Haßt er unser Geschlecht?
FRANZ. Er haßt das Menschengeschlecht überhaupt, und das weibliche insbesondere.
GRÄFIN. Warum denn?
FRANZ. Er mag wohl betrogen worden sein.
GRÄFIN. Ei, da ist er aber nicht galant.
FRANZ. Galant ist mein Herr nicht, aber wenn es darauf[83] ankommt, einem Menschen das Leben zu retten, so tut er es mit Gefahr seines eigenen.
MAJOR. Und das ist mehr wert, als kahle Galanterie. Er hat recht. Auch uns führt Galanterie nicht hieher. Die Frau und der Schwager des Geretteten wünschten Seinem Herrn ihre Erkenntlichkeit zu bezeugen.
FRANZ. Er liebt das nicht.
MAJOR. Ein sonderbarer Mann!
FRANZ. Der keinen andern Wunsch hegt, als den, in Ruhe und Friede zu bleiben.
GRÄFIN. Er scheint sich mit dem Schicksal überworfen zu haben.
FRANZ. So scheint es.
GRÄFIN. Vielleicht eine Ehrensache, oder unglückliche Liebe?
FRANZ. Vielleicht.
GRÄFIN. Oder er ist ein Schwärmer?
FRANZ. Kann sein.
GRÄFIN. Dem sei wie ihm wolle, ich wünschte zu wissen, wer er ist.
FRANZ. Ich auch.
GRÄFIN. Wie? Er kennt ihn selbst nicht?
FRANZ. O ihn kenn' ich wohl, das heißt, sein eigentliches Ich, sein Herz, seine Seele; oder glauben Sie, daß man die Menschen kennt, wenn man ihren Namen weiß?
GRÄFIN. Brav! Er gefällt mir, und nun wünschte ich auch Seine Bekanntschaft zu machen. Wer ist Er denn?
FRANZ. Ihr gehorsamer Diener. Er geht ab.
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