Siebente Szene


[350] Vorige – Frau Wunschel.


FRAU WUNSCHEL mit Tropfen. Aha! Da ist ja der alte Herr Graf selbst!

GRAF murmelt zwischen den Zähnen. Alter Herr Graf! Stampft während dieser Szene einigemal mit dem Fuße, wird aber jedesmal vom Podagra schmerzhaft erinnert.

FRAU WUNSCHEL mit Knixen. Ich freue mich ganz exécrable, Ew. Gnaden in meinem Hause aufzuwarten, und noch mehr freue ich mich, daß Ew. Gnaden eine so heftige Kolik haben.

GRAF. Ich eine Kolik?

FRAU WUNSCHEL ohne sich irremachen zu lassen. Und mir solches Gelegenheit verschafft, Dieselben mit meiner Wermuthessenz bekannt zu machen.

GRAF. Wermuthessenz?

FRAU WUNSCHEL. Sie stammt her von dem berühmten Doktor, – der Name ist mir nunmehro beigefallen, – von dem berühmten Doktor Werguntius, und hat oft Wunder getan an Menschen und Vieh.

GRAF. Was soll das heißen?

FRAU WUNSCHEL. Ja, auch sogar das liebe Vieh, Ew. Gnaden können sich drauf verlassen. Denn als vor vier Wochen mein Pommerle krank wurde, das arme Tier hatte sich auf der Bastei den Magen erkältet, und krümmte sich gar gewaltig –

GRAF. Ist die Frau von Sinnen?

FRAU WUNSCHEL. Ei ei, Herr Graf! Was sind das für Redensarten? Wenn ich nicht wüßte und bedächte, daß man im Schmerz nicht Herr seiner Zunge ist, und daß Ew. Gnaden eine sehr wohl konditionierte Kolik haben –

GRAF. Der Teufel hat die Kolik!

FRAU WUNSCHEL. Weshalb ich diese köstliche Wermuthessenz alsogleich christlich bereitet.[350]

GRAF. Für mich?

FRAU WUNSCHEL hat die Tropfen in einen Löffel gegossen, und geht ihm damit auf den Hals. Ew. Gnaden belieben nur einen Löffel voll herunterzuschlingen. Das läuft wie Feuerstein durch den Magen in die Adern, in die Muskeln, in die Nerven, in die Knochen, geht aus den Knochen ins Blut –

GRAF. Ist das Weib besessen?

FRAU WUNSCHEL. Probatum est! Ich bitte zu schlucken.

GRAF. Schafft mir die tolle Weibsperson vom Halse!

FRAU WUNSCHEL. Wie? Ich eine tolle Weibsperson? Ist das der Dank für meine Gutmütigkeit? Kaum hat der junge Herr Graf den Mund aufgetan und erzählt, daß Ew. Gnaden die Kolik hätten, – –

GRAF. Was? Er hat es erzählt?


Adolph will sich unbemerkt fortschleichen.


FRAU WUNSCHEL. So bin ich gelaufen, die Treppe herauf, die Treppe hinunter –

GRAF. Herr Sohn! Bleibe Er doch noch ein wenig hier!

FRAU WUNSCHEL. Alle Schränke habe ich durchstört, alle Schachteln habe ich umgewandt. – Undank ist der Welt Lohn. Mein Pommerle hat mir doch die Hände geleckt, und mit dem Schweife gewedelt, und hat mich nicht so angeknurrt, wie gewisse Personen, die ich nicht nennen will, und die da meinen, weil die Kolik diesmal so schnell vorübergegangen, sie werde gar nicht wiederkommen. Aber ich prophezeihe, sie wird wiederkommen, ja, ja, sie wird wiederkommen, und wenn sie nur erst da ist, wenn gewisse Leute sich krümmen, wie ein Wurm an der Nadel, ich rühre weder Hand noch Fuß; nein, das tue ich nicht. Indem sie abgeht. Ich trage meine Wermuthessenz in mein Kämmerlein, ich verschließe sie in meine Hausapotheke, zur Satisfaktion für mich und den Doktor Werguntius, und wenn die ganze Welt an der Kolik zugrunde gehen sollte! Die letzten Worte hört man noch draußen.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 350-351.
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