Zweite Szene


[384] Graf – Henriette.


GRAF. Komm' ich hier recht zu –


Stutzt, als er Henrietten gewahr wird, und verstummt.


HENRIETTE. Zu wem?

GRAF beiseite. Wahrhaftig, was den Geschmack anbetrifft, da darf der Bube sich mit mir messen.

HENRIETTE. Wen suchen Sie, mein Herr?

GRAF. Ich, – ich suche ein schönes Mädchen und finde einen Engel.

HENRIETTE. Was soll das heißen?

GRAF. Sind Sie Demoiselle Stein?

HENRIETTE. Ja!

GRAF. Wenn Ihr Name und Ihr Herz von gleicher Materie[384] sind, so werden Ihre Augen viel Unheil in der Welt anrichten.

HENRIETTE. Mein Herr, wenn meine Augen Ihnen diesen schalen Witz eingeflößt haben, so ist das freilich ein Unheil.

GRAF. Bravo! Den Eindruck, den Ihre Schönheit beginnt, vollendet Ihr Geist!

HENRIETTE. Darf ich fragen, warum Sie meinen Geist vier Treppen hoch suchten?

GRAF. Um ihn zu bewundern.

HENRIETTE. Weil doch in der Ferne alles größer scheint, so bin ich so eitel, Sie zu bitten, meinen Geist in Zukunft von Ferne zu bewundern.

GRAF. Vergebens! Eine unsichtbare Kraft zieht mich an. Mir schwindelt, – ich widerstehe – Eitler Versuch! Fast möchte ich an die Wirbel des Descartes glauben.

HENRIETTE. Ihr Kopf ist wenigstens kein Beweis gegen sein System.

GRAF. Ach! Die Rede ist von meinem Herzen!

HENRIETTE. Ich wünschte, mein Herr, die Rede wäre von gar nichts mehr.

GRAF. Es klopft! es pocht!

HENRIETTE mit Ironie. Die vielen Stufen im zehnten Stufenjahre –

GRAF beiseite. Verdammt! das beißt! Laut. Bravo! Ich liebe die Repliken!

HENRIETTE. Lieben Sie, was Sie wollen; nur mich nicht!

GRAF. Gestehen Sie nur, Sie sind nicht, was Sie scheinen.

HENRIETTE. Das kann nicht ein jeder von sich sagen. Sie, mein Herr, sind ganz, was Sie scheinen.

GRAF. Das Zeugnis klingt ein wenig zweideutig.

HENRIETTE. Ich dächte kaum.

GRAF. Wenn ich es zu meinem Vorteil auslegen dürfte –

HENRIETTE. Nach Ihrem Belieben; doch nicht eher, bis Sie mich verlassen haben.

GRAF. Ich Sie verlassen? Welche Zumutung!

HENRIETTE. Wenn mein Bruder nach Hause kommt –

GRAF. Haben Sie viele Brüder?

HENRIETTE. Nur einen.

GRAF. Ist dieser eine schon lange Ihr Bruder?

HENRIETTE. Mein Herr!

GRAF. Verstehen wir uns doch nur recht, schönes Kind!

HENRIETTE. Fort mein Herr! Wir werden uns nie verstehen.[385]

GRAF. Fassen Sie Zutrauen! Meine Erfahrung, meine Weltkenntnis –

HENRIETTE. O, wenn die Welt so ist, so verdient sie ihr jetziges Schicksal; so ist es ein Sturm, der die vergiftete Atmosphäre reinigen wird.

GRAF. Suchen wir Schutz im Tempel der Liebe!

HENRIETTE. Mein Herr! Sie sind in der Wohnung der Unschuld, und sie sollte ebenso heilig sein, als ein Tempel.

GRAF beiseite. Wahrlich, wenn hier der Schein nicht trügt –

HENRIETTE. Noch einmal, mein Herr! entfernen Sie sich!

GRAF beiseite. Fast möcht ich wünschen, das Sprüchwort Lügen zu strafen. Laut. Kennen Sie mich, Mademoiselle?

HENRIETTE. Schon zuviel!

GRAF. Und ich noch zuwenig. Beiseite. Wir wollen Sturm laufen.

HENRIETTE. Ich warne Sie; trotzen Sie nicht auf meine wehrlose Einsamkeit. Ich rufe Leute herbei!

GRAF. Wozu?

HENRIETTE. Ich will allein sein. Diese Zimmer sind die meinigen.

GRAF. Eben, weil diese elenden Zimmer die Ihrigen sind, verlasse ich sie nicht. Sie müssen schönere bewohnen. Man faßt keine Diamanten in Blei. Ich weiß, daß Sie für Geld arbeiten, daß Sie Putz machen. Welche Erniedrigung! Ein Frauenzimmer, dem zu gefallen die Grazien selbst Putzmacherinnen werden sollten, läßt sich herab –

HENRIETTE von Zorn und Schmerz überwältigt. Noch nie, mein Herr, ward ich so tief erniedrigt, als in diesem Augenblick. In Tränen ausbrechend. O wenn Armut zu solchen Anträgen berechtigt, wer darf noch behaupten, Armut sei kein Übel?

GRAF beiseite. Sie weint! Ich bin zu weit gegangen.

HENRIETTE. Ich bin ein unglückliches Geschöpf! Ich habe schon viele Tränen vergossen, aber noch keine, die so bitter waren! Und wenn Sie noch so reich sind, mein Herr, diese Tränen können Sie nicht bezahlen.

GRAF beiseite. Das ist wohl nicht Verstellung. Laut und verlegen. Mademoiselle!

HENRIETTE. Wenn Sie so alt wurden, und mein Geschlecht nie anders beurteilten, dann bedaure ich Sie, denn dann haben Sie die Liebe nie gekannt.

GRAF beiseite. Bei Gott! Die ist, was sie scheint! Laut. Mademoiselle, – ich bitte –[386]

HENRIETTE. Gab es aber einen Zeitpunkt in Ihrem Leben, wo tugendhafte Liebe Sie beglückte, hatten Sie vielleicht eine Gattin, welche der Schilderung nahe kam, die einer unsrer größten Dichter von der Würde der Frauen lieblich und wahr darstellte –

GRAF gerührt und hastig. Ja, ich hatte eine solche.

HENRIETTE. So beschwöre ich Sie bei dem Andenken an diese Seele, die mit der meinigen verwandt ist, – haben Sie Achtung für meine Unschuld, denn sie ist mein ganzer Reichtum.

GRAF. Mademoiselle – verzeihen Sie mir – ja, ich kannte eine solche Seele. In Ihrer Gegenwart hätte ich früher daran denken sollen, denn Ihre Gesinnungen, die Wärme, mit der Sie für Tugend und Unschuld sprechen, – alles ruft mir jenes holde Bild zurück! Und vielleicht ist es zum zweiten Male meine Bestimmung, da, wo ich nur Vergnügen suchte, das Glück des Lebens zu finden.

HENRIETTE. Ich verstehe Sie nicht.

GRAF. Mich jetzt zu nennen, verbietet mir ein drückendes Gefühl. Sie würden mir verzeihen um meines Namens willen, und das habe ich nicht verdient. Bald wird vielleicht die Zukunft Sie belehren, daß man wenigstens im zehnten Stufenjahre eine Sottise leichter wiedergutmachen kann, als im vierten.


Henriette will antworten, sieht aber Stein eintreten.


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 384-387.
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