Zweite Szene

[421] Olmers – Der Bürgermeister – Herr Staar – Sperling – Die Vorigen.


BÜRGERMEISTER. Heil ist meinem Hause widerfahren! Heil der guten Stadt Krähwinkel!

OLMERS. Nicht doch, Herr Bürgermeister, ich bin schon zufrieden, wenn auch nur eine einzige Person Mit einem Blick auf Sabinen. sich über meine Ankunft freut.

BÜRGERMEISTER. Bewahre der Himmel! ich wollt' es keinem gehorsamen Bürger raten, sich nicht untertänigst zu freuen. Dafür haben wir Mittel.

OLMERS. Diese Damen gehören vermutlich zu Ihrer Familie?

BÜRGERMEISTER. Meine werteste Frau Muhme, die Frau Oberfloß- und Fischmeisterin Brendel, desgleichen meine werteste Frau Muhme, die Frau Stadtakzisekasseschreiberin Morgenroth.

FRAU BRENDEL UND FRAU MORGENROTH mit gewaltigen Knixen. Wir freuen uns unendlich die Ehre zu haben –

BÜRGERMEISTER. Hier ist meine Mutter, die Frau Untersteuereinnehmerin Staar.

FRAU STAAR. Bitte nur tausendmal um Vergebung, daß die Vorhänge noch nicht gewaschen sind. Es geschieht sonst immer vor Pfingsten und Weihnachten.

OLMERS. Madam, ich würde untröstlich sein, wenn Sie durch mich in Ihrer alten Ordnung sich stören ließen.

FRAU STAAR beiseite mit gerümpfter Nase. Madam?

OLMERS zum Bürgermeister. Dies junge Frauenzimmer ist vermutlich Ihre Mademoisell Tochter?

BÜRGERMEISTER. Jedermann erkennt sie doch gleich an der Ähnlichkeit mit mir.

OLMERS. Mademoisell, ich schmeichle mir mit der Hoffnung, daß meine Gegenwart keinen unangenehmen Eindruck auf Sie machen werde.

SABINE. Im Gegenteil, der Eindruck ist so angenehm, daß ich ihn nur früher gewünscht hätte.[421]

HERR STAAR. Man hört doch gleich, daß das Mädchen ein Jahr in der Residenz gewesen ist.

OLMERS. Vermutlich haben Sie dort interessante Bekanntschaften gemacht?

SABINE. Wenn auch nicht viele, doch eine.

OLMERS. Die sich um so glücklicher schätzen wird.

SABINE. Wer weiß. Man findet in der Residenz so ziemlich alles, ausgenommen Gedächtnis.

OLMERS. Hüten Sie sich, daß Sie kein Unrecht abzubitten bekommen.

SABINE. Dabei würde ich gewinnen.

OLMERS. Wer einmal so glücklich war Sie zu sehn –

SABINE. Sie schmeicheln einem armen Landmädchen.

BÜRGERMEISTER. Nun, nun, Sabinchen, ein Landmädchen bist du doch gerade auch nicht. Wir bewohnen, Gott sei Dank! eine ganz feine Stadt.

HERR STAAR. Die beiden Hauptstraßen sind gepflastert.

SPERLING. Fünftausend Einwohner, worunter auch einige Dichter.

FRAU STAAR. Drei schöne Kirchen.

FRAU BRENDEL. Eine anmutige Promenade bis zum Galgen.

OLMERS. Ich habe eine liebliche Anhöhe bemerkt.

FRAU MORGENROTH. O die ist ganz vortrefflich zum Wäschetrocknen.

OLMERS. Und das Tal so malerisch mit Gebüschen bestreut.

FRAU BRENDEL. Die schönsten Erdbeere wachsen dort.

SPERLING mit einem Blick auf Sabinen. Gewürzig und purpurrot wie gewisse Lippen.

OLMERS. In der Tiefe schlängelt sich ein Fluß.

FRAU STAAR. Mit Forellen und Karauschen.

OLMERS. Ein schattenreicher Wald beherbergt ein Heer von Nachtigallen.

HERR STAAR. Der Wald ist dick genug, aber das Holz wird doch alle Jahr teurer.

OLMERS. Treibt das Städtchen einen starken Handel?

FRAU STAAR. O ja, mit Meerrettich.

HERR STAAR. Auch gibt es Niederlagen von ost- und westindischen Gewürzen, samt einer Lesebibliothek.

SPERLING. Von unserm Scheibenschießen haben Sie wohl schon gehört?

OLMERS. Leider nein.

SPERLING. Es ist auch ein Hanswurst dabei.[422]

FRAU STAAR. Und einen Nachmittagsprediger haben wir an der Aegidienkirche, das ist ein Mann wie ein Apostel! O der ist Ihnen sicher schon bekannt?

OLMERS. In der Tat, ich muß mich schämen –

SPERLING. Was sagen sie denn in der Residenz von unserm Liebhabertheater? ich spiele den Peter in Menschenhaß und Reue.

FRAU MORGENROTH. Und recht natürlich.

SPERLING. Nicht wahr, Frau Muhme?

BÜRGERMEISTER. Vor allen Dingen werd' ich dem Herrn unser Rathaus zeigen. Ein Baumeister aus Gotha hat es vor dreihundert Jahren erbaut. Es ist im echt gotischen Geschmack.

OLMERS. Sobald ich mich ein wenig von der Reise erholt habe.

FRAU STAAR. Sabinchen, führe doch den Herrn auf sein Zimmer.

SABINE. Herzlich gern.

BÜRGERMEISTER. Ich werde die Ehre haben zu begleiten.

HERR STAAR. Auch ich.

SPERLING. Auch ich.

OLMERS. Bemühen Sie sich nicht meine Herren, ich bin vollkommen mit meinem Führer zufrieden.

BÜRGERMEISTER. Mitnichten. Se. Exzellenz, der Herr Minister, haben mir Hochdieselben empfohlen, und ich werde nicht ermangeln, Sie wie Dero Schatten zu umgeben.

OLMERS. Dann werden Sie mir oft in die Sonne treten.

BÜRGERMEISTER. Sonne genug. Dero Fenster liegen gegen Mittag. Übrigens sehr bequem. Nur drei Stufen hinab in die Kammer, und wiederum zwei Stufen hinauf in den Alkoven.

OLMERS reicht Sabinen die Hand. Mademoisell, an Ihrer Hand hoffe ich die Stufen leicht zu erklimmen.

SABINE. Es wäre doch besser, wenn wir uns schon am Ziele befänden. Ab mit Olmers.


Der Bürgermeister folgt.


SPERLING zu Staar. Was meinen Sie, wenn ich ihm gleich die Ode vorläse? die an die Braunschweiger Mumme?

HERR STAAR. Jetzt nicht. Ich zeig' ihm erst meine Nürnberger Kupferstiche. Beide ab.[423]


Quelle:
August von Kotzebue: Schauspiele. Frankfurt a.M. 1972, S. 421-424.
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