Der 11. (26. 101.) Kühlpsalm

[224] Als er mit dem 3 und 10 Mertz 1684 aus Amsterdam zum wesen losgerissen auf London, mit dem 5 und 9 Mai aus London über der Irlandsreise mit Anglicana nach Amsterdam, und allenthalben unter sehrgefährlichwichtigen Vorfällen, nachstellungen, verhinderungen, durch wahre und falsche Gesichter, di versicherung von dem Thron und Saules spis empfing; vom Gehorsam voll Gehorsam gesungen zu Amsterdam den 16 Jun. 1684.


1.

Gehorsamheit zu Gott ist der Geschöpff ihr all,

Ihr gantzes, was von ihm der Schöpffer hat begehrt:

Ihr grund vor der Natur, und als di welt gelegt;

Ihr anfang, mittel, end im anfang, mittel, end.

Auf disem felsen steht der heilgen Engel Reich;

Das ewig sich verhöht, imehr hirauf es gründt.

Als Lucifer hir wich, erblich sein gantzer glantz,

Und san er sich zu Nichts, als er dis Nichts verschmäht.

Als Adam strauchelt hir, war seine zir zur schmach,

Und ist der Schrifft ihr All Gehorsamheit zu Gott.
[224]

2.

Di weisheit giltet nichts, wo ihr Gehorsam fehlt:

Si ist des Schöpffers gutt und nicht der Creatur.

Imehr ihr Centrum blösst und zeiget wunderkrafft,

Imehr erfodert si ein tiffgesenktes nichts.

Wo du si greiffest an in deinem eignem Geist,

So speiet si dich aus, als ihren ärgsten Feind.

Ihr heiligstreines rein werkt rein des Schöpffers werk:

Es duldt verletzer nicht der Gottesmajestät.

Imehr gehorsamer zu deines Vatern wink:

I näher küsset dich di Mutter dises Alls.


3.

Was nutzet Klugheit dem, der ihm ist selbsten klug!

Ihr grosses Werde wird gebähren dir ein neu,

Darüber ewigst du der Torheit straffe trägst.

Ihr uhrwerk leidet nicht den allerkleinsten stopff:

Es bleibet stets im gang, den ihm Jehovah gab!

Di Räder treiben ernst zum rechtgesätztem zil,

Das der Werkmeister hat von Ewikeit gestellt.

Erblikkestdu den grund? Folg ernst im Kindesgrund.

Di wahre Klugheit ist gehorsamen gantz Gott

In zeit und ewikeit durch ein zehneines Nichts.


4.

Wo du was anders weist, als zugehorchen Gott,

So wird di wissenschafft der wissenschafften gifft:

Du lernest, doch zu spät, was di wurfschauffel sei,

Di dich ein wissen lehrt voll ewiger beschwer.

Der grosse wissensbaum wächst ewigewigst fort:

Steigt auf mit aller zahl unendlichst aller zahl.

Wo du von ihm was brichst, dis wird ein fremder stamm,

Der dich von sich und Gott unendlicher verfremdt.

Das wahre wissen ist zuwissen stets nur Gott

Einfältig, kindlich, rein in ider wissenschafft.


5.

Was ist ein göttlich ruf, wo dir gehorsam fehlt?

Er ist dein ungelükk und ewiger verderb.

Was hilft weissagung dir, wo du darnach nicht thust?

Si wird ohn dich erfüllt, wann du si gleich erfüllt.

Gebet ist kein Gebet, wo du dir betest selbst.[225]

Gesichter, Engel, Geist, einsprachen, wunderwerk

Sind ungehorsamen zu ihrem untergang.

Was stützestdu vil drauf, wo selbstheit ist dein weg?

Si leiten dich schnurrechts von Gottesaugen ab.

Der gantze Himmel baut di höll der Eigenheit.


6.

Was hilfet Demutt dir, wo du dir selbsten dinst?

Gelassenheit ist nichts, wo si auf Gott nicht zilt.

Di Libe ist aus Gott, der alls in Libe schuf;

Di Sanfftmutt war dein kleid, das dir der Schöpffer gab:

Ja warheit ist der grund, aus deme du urständst.

In disem allem stund der Engel, welcher fil,

Als er gehorsamt nicht nach seiner Freiheitsart.

Gehorsam ist dein Alls, das dir dis alls beschützt.

Gehorsam wird ni falsch, weil er rein widerstrahlt

Zu seines Schöpffers ehr, was ihn sein Schöpffer his!


7.

Hat Jesus Christus nicht des Adams fall versöhnt,

Als er gehorsam war vollkommen seinem Gott?

Der glauben Abrahams gründt im gehorsam gantz:

Und David war hirinn ein Mann nach Gotteshertz.

Gott liben über alls, den Nechsten als sich selbst,

Dis sprosset völligst raus durch des Gehorsams krafft.

Wer Gott gehorsamet, thut allen Gotteswill,

Kennt keine wahl noch zahl, noch was nach eigen schmekkt,

Sucht weder Himmel, Höll, noch grosses, mittel, klein:

Er folgt alleine Gott, von Gott aus Gott durch Gott.


Kühlgrundwesensnachklang.


Gott treu gehorsamen durch Jesum sei das All:

Sein will ist unser will in zeit und ewikeit.

Quelle:
Quirinus Kuhlmann: Kühlpsalter, Band 2 (Buch 5–8 u. Paralipomena), Tübingen 1971, S. 224-226.
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