6. Auftritt.

[45] Das große Zimmer in Sigeth.


Zriny. Alapi. Paprutowitsch. Juranitsch. Mehrere ungarische Hauptleute treten aus der Tiefe hervor.


ZRINY.

Was denkt ihr, meine Waffenbrüder, mag ich

Die neue Stadt noch länger halten? Darf ich,

Auf ihrer Mauer Treue mich verlassend,

Den zweiten Sturm erwarten, oder soll

Der Pechkranz in des Bürgers Hütten fliegen,

Damit wir das mit eigner Hand zerstören,

Was unser Schwert nicht mehr beschützen kann?

JURANITSCH.

Nicht diese Grausamkeit, mein teurer Vater!

Das Sengen überlaß den Janitscharen!

Soll denn der Bürger, der sein Hab' und Gut

Vertrauend hier in unsern Schutz gegeben,

Soll er den Landsmann da zerstören, soll

Den Pechkranz in die Scheuern fliegen sehn,

Wo er geborgen und geschirmt sich träumte?

Der Wall ist stark, das Volk ist kühn und treu.

Erwarten wir noch einen Sturm! Vielleicht,

Daß sie den Mut an unsrer Kraft verlieren,

Dann haben wir dem Kaiser eine Stadt

Und treuen Bürgern Hab' und Gut gerettet.

ZRINY.

Die Meinung ehrt dein Herz und dein Gefühl.

Ich hab' es gern an dir, daß du so warm

Für Menschenwohl und Menschenfreuden sprichst.

Wer sich dem Löwen gleichstellt in der Schlacht,

Darf nicht des Löwen Edelmut vergessen.

Du aber bist der Jüngste hier im Kreis,

Und wenn du auch an Mut dich vielen gleichstellst –

Was hier entscheidet, fehlt dir: Kriegserfahrung.

Sprich du, mein alter Freund! Wie denkt Alapi?

ALAPI.

Was Lorenz menschlich riet, erwäg' ich wohl,

Und gern möcht' ich die arme Stadt erhalten;

Dock unser sind zu wenig und der Wall

Zu groß für deine kleine Schar; wir können

Nicht überall den trunknen Janitscharen

Zur Gegenwehr sattsame Mannschaft stellen.

Auch ist die Stadt durch Ali Portuk heut

Gar fürchterlich beschädigt und zerschossen:[45]

Die Türme sind gestürzt, beim nächsten Sturm

Vermögen wir den Wallbruch nicht zu hindern. –

Die Bürger sollen schleunigst all ihr Gut,

Was nur beweglich ist von ihrer Habe,

Herübertragen in die alte Stadt;

Dann sei der Pechkranz rauchend aufgesteckt!

Denn besser ist's, es brennt von Grund aus nieder,

Als daß sich Ali Portuk dort verschanzt

Und um so leichter dann die Altstadt stürme.

ZRINY.

Auch meine Meinung, alter Waffenbruder!

PAPRUTOWITSCH.

Es bleibt mir aber unbegreiflich Ding,

Den schuldigen Respekt möcht' ich vergessen,

Wenn ich mir's denke, daß der Kaiser Max

Mit Achtzigtausend sich bei Raab verschanzt

Und keine Miene macht, uns zu entsetzen.

Gilt ihm denn seine treue Mannschaft nichts?

Nichts seine Feste, nichts dies Heldenleben?

Dies eine, große Heldenleben nichts?

Es ist, um toll zu werden, wenn man's denkt!

So seine Treuen opfern, die er retten,

Die er für beßre Zeit erhalten kann.

Begreif es, wer es will, mir ist's zu fein!

ZRINY.

Freund, frevle nicht an unserm guten Kaiser!

Er hat der Last, der Mühe wohl genug,

Die Schlechten treten ihm so oft entgegen;

Erspare ihm das traurige Gefühl,

Daß auch der Besten welche ihn verkannt.

Das Leben sieht sich anders an vom Throne.

Ich weiß, es kränkt sein edles Vaterherz,

Es kostet ihn im stillen manche Thräne,

Daß er mich und mein Volk dem Tod geweiht;

Doch tiefe Weisheit liegt in seinem Willen,

Ich beuge mich vor seiner Majestät!

Hier können wir, die einzelnen, was nützen,

Wir kosten unserm Feind noch manchen Kampf,

Und Max hat Zeit, sein Volk herbeizurufen.

Was gelten wir in einem großen Heer? –

Willst du ein Meer erkämpfen und erhalten,

Verlorne Tropfen hast du nie gezählt;

Der einzelne versinkt im allgemeinen.

Es ist des Kaisers angestammtes Recht.

Er darf von Tausenden das Opfer fordern,

Wenn es das Wohl von Millionen gilt.


Quelle:
Theodor Körner: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Stuttgart [o.J.], S. 45-46.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Zriny
Leier und Schwert, Zriny, Rosamunde, mit Einleitung;
Zriny: Ein Trauerspiel in Fünf Aufzügen (German Edition)
Zriny: Ein Trauerspiel (German Edition)

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Cleopatra. Trauerspiel

Cleopatra. Trauerspiel

Nach Caesars Ermordung macht Cleopatra Marcus Antonius zur ihrem Geliebten um ihre Macht im Ptolemäerreichs zu erhalten. Als der jedoch die Seeschlacht bei Actium verliert und die römischen Truppen des Octavius unaufhaltsam vordrängen verleitet sie Antonius zum Selbstmord.

212 Seiten, 10.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon