6. Szene.

[16] Weigelt. Zernickow.


ZERNICKOW von rechts, zum Ausgehen angekleidet, mit Hut und Stock. Entschuldigen Sie, Herr Weigelt, daß ich Sie warten ließ. Meine Tochter sagt mir, daß Sie mich zu sprechen wünschen?

WEIGELT. Das stimmt.

ZERNICKOW nach der Uhr sehend. Nun, ein Viertelstündchen habe ich wohl noch Zeit, dann muß ich aufs Gericht.

WEIGELT. Darum handelt es sich ja gerade.

ZERNICKOW. Ich verstehe nicht recht –?

WEIGELT. Ich werde Ihnen das gleich klar machen. Setzt sich auf den am Nähtisch stehenden Stuhl und deutet auf den anderen, daneben stehenden Stuhl. Bitte, setzen Sie sich doch.

ZERNICKOW. Sie sind sehr gütig. Setzt sich.

WEIGELT. Es handelt sich nämlich um meinen Sohn, meinen Leopold. Sie kennen meinen Sohn?

ZERNICKOW. Nur von Ansehen.

WEIGELT. Aber was für ein Ansehen – nicht wahr? ein schöner Mensch!

ZERNICKOW lächelnd. Gewiß, gewiß.

WEIGELT. Er is auch bei's Gericht – Refferendarius. Sie werden ihn wohl kennen?

ZERNICKOW. Nur dem Namen nach.

WEIGELT. Aber was für einen Namen – wie? Er is jetzt schon der Berühmteste bei's ganze Kammergericht.

ZERNICKOW. So?

WEIGELT. Das is ja bekannt. Also mein Sohn äußert neulich mal den Wunsch, daß er gerne ein Reitpferd haben möchte. Natürlich habe ich mir gleich nach eins umgesehen. Das werden Sie begreifen, nich wahr?

ZERNICKOW. Warum nicht! wenn man die Mittel dazu hat!

WEIGELT. Für meinen Sohn is mir nischt zu teuer. Aber einen Stall muß ich ihm doch bauen; darum habe ich nu den Korbmacher Müller, der auf'n Hof wohnt, gekündigt.

ZERNICKOW mitleidig. Hm! Der Mann hat eine große Familie!

WEIGELT. Nicht wahr? Sechs Kinder, das Geschrei den ganzen Tag – man is ja froh, wenn man solche Leute[17] los is. Aber was sagt der Mensch? »Ich ziehe nich«, sagt er. Wie gefällt Ihnen die Frechheit?

ZERNICKOW. Ja, ist denn sein Kontrakt abgelaufen?

WEIGELT. Bewahre! Denn hätte ich doch nich zu kündigen brauchen. Ich nehme noch die Rücksicht und sage: »Herr Müller«, sage ich, »es handelt sich um meinen Sohn.« Und was gibt der Mensch mir zur Antwort? »Det is mir schnuppe,« sagt er und schmeißt mir die Türe vor der Nase zu. Nanu werde ich doch wild. »Kläre,« sage ich zu meine Tochter, lies mir mal den Mietskontrakt vor.

ZERNICKOW unruhig auf seinem Stuhl hin- und herrückend und nach der Uhr sehend. Ich begreife nur nicht, was ich –?

WEIGELT. Warten Sie man, jetzt kommt's. §8, Nr. 3: »Es darf kein eiserner Ofen gebraucht, kein Rohr in den Kachelofen geleitet werden.« Nu hatte ich ihm. In seine Wohnung steht nämlich ein eiserner Ofen und das Rohr geht durch den Kachelofen. Ich verklage ihm also auf Exmistion.

ZERNICKOW kopfschüttelnd. O!

WEIGELT. Sie meinen, ich gewinne nich? Daran is gar nich zu zweifeln, zumal Sie die Sache unter sich haben.

ZERNICKOW. Ich?

WEIGELT. Na ja. Heute um Elfe is Termin. Ich ließ mir heute früh von meine Tochter nochmal die Vorladung vorlesen, und da steht unten drunter: Amtsrichter Zernickow. Das sind Sie doch?

ZERNICKOW. Allerdings.

WEIGELT. Na, sehen Sie, besser konnte sich das ja gar nicht treffen. Sie als Mieter werden wissen, was Sie mir als Wirt schuldig sind.

ZERNICKOW. O, ich dächte: nichts; ich bezahle an jedem Quartalsersten pünktlich meine Miete –

WEIGELT. Na, das versteht sich ja von selbst. Wenn ich sage, schuldig, denn meine ich Respekt, Hochachtung.

ZERNICKOW aufstehend. Mein werter Herr Weigelt, ich bin Richter und muß nach Recht und Gewissen, unparteiisch –

WEIGELT ebenfalls aufstehend. Unparteiisch – natürlich! Sie werden bedenken, daß ich mir auch sehr rücksichtsvoll gegen Ihnen benommen habe.

ZERNICKOW. Inwiefern, wenn ich fragen darf?[18]

WEIGELT. Meinen Sie, ich weiß nicht, daß Sie eine Wohnungszulage bekommen haben?

ZERNICKOW. Nun, das ist ja kein Geheimnis.

WEIGELT. Ich habe aber bis jetzt noch keinen Gebrauch davon gemacht.

ZERNICKOW. Wovon?

WEIGELT. Na, von die Wohnungszulage, ich habe Ihnen noch nich gesteigert.

ZERNICKOW. Ah, das ist eine eigentümliche Auffassung. Aber wie gesagt, Herr Weigelt, es tut mir leid, ich muß aufs Gericht.

WEIGELT. Ich will Ihnen auch nich länger aufhalten. Sie wissen ja nun, woran Sie sind. Begleitet Zernickow bis zur Tür. Der Müller muß unter jeder Bedingung exmistiert werden; erstens wegen die Frechheit gegen mir, und dann, weil es sich um ein Vergnügen für meinen Sohn handelt – das ist die Hauptsache.

ZERNICKOW schon in der Tür. Ich wiederhole nochmals, Herr Weigelt, daß ich nach Recht und Gewissen prüfen und entscheiden werde. Ab durch die Mitte.


Quelle:
Adolph L’Arronge: Gesamt-Ausgabe der dramatischen Werke. Berlin 1908, S. 16-19.
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