Unvergänglichkeit

[85] Die Erde, die dein Mund und Auge preist,

Hallt kräftig unter deinen Wanderschritten;

Auf freier Höhe stehst du nun inmitten

Der weiten Landschaft, die das Leben heisst.


Eng angeschlossen an den Himmelssaum,

So dass er es zerteilt mit seiner Schneide,

Und immer wieder hinter jener Scheide

Wälzt sich das Meer im uferlosen Raum.


Weltgläubig fromm, von Andacht übermannt

Und ganz von deinem Gotte voll und trunken

Bist du am Ufer in die Knie gesunken,

Ein seliger, verzückter Korybant.


Im Sturm frohlockend liessest du dich schwank

Und stählern von den Elementen tragen;

Und noch den Wettern, die zerstörend schlagen,

Gabst du dich preis und nahmst sie hin mit Dank.


Versenkt ins Rauschen deines Blutes, tief

Und tiefer auf den Wesensgrund zu schürfen,

Vernahmst du, wie im innigsten Bedürfen

Der eignen Brust die Menschennot dich rief.
[86]

Die Welle staut sich, wo am Rand der Bucht

Unendlichkeit und Leben sich berühren

Und ihren ungemessnen Raub entführen

Die schwarzen Fluten stumm in jäher Flucht.


Die Jahre zwingen dich in ihr Gesetz

Und furchen dir die Stirne im Entweichen;

Doch löst mit einer Schwungkraft sondergleichen

Die Seele sich aus ihrem dunklen Netz.


Getrost und unvertraut mit allem Sein

Lässt sich der Dichter in die Zukunft gleiten;

Auf Erden schon enthoben in die Weiten

Wächst er in Zeit und Ewigkeit hinein.

Quelle:
Hedwig Lachmann: Gesammelte Gedichte. Potsdam 1919, S. 85-87.
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