Erster Auftritt

[73] Ulrichs Zimmer auf der Ebernburg, mit Büchern und Waffen ausgeschmückt.


ULRICH einen offnen Brief in der Hand haltend, in den er mit der größten Aufregung hineinstarrt. Sein Anblick ist in hohem Maße aufgeregt und verstört.

Der Luther in des Reiches Acht und Aberacht

Zu Worms erklärt! Mit allem Anhang, allen,

Die Schutz ihm leihn! O Karl, o deutsches Reich –

So ist das Ärgste denn jetzt eingetreten!


Er hält inne und sieht wieder in den Brief.


Der Kurfürst Friedrich selbst zieht scheu zurück,

Er hat ihn heimlich fangen, zu geheimem Schirm

Ihn auf die Wartburg bringen lassen, weil

Vor Kaisers Zorn er dran verzagt, noch länger

Ihn frei und offen zu beschützen!


Er wirft sich in einen Sessel, mit schmerzlichstem Ausdruck.


O Deutschland! Deutschland! Armes Vaterland!

So geht die letzte Hoffnung uns zu Grabe!

Erbleichend sinkt dein Freiheitsstern, der mir

An deinem Himmel leuchtend aufgegangen,

Und wiederkehrt die alte, finstre Nacht.


Er schweigt einen Augenblick stier vor sich hinsehend.


Ihr rabenschwarz Gefieder höhnisch schüttelnd

Breitet sie's übers Land gleich einem Sargtuch aus,

– Und stille wird es unterm Todesfittich –

Ganz still!


Er bedeckt sein Gesicht mit den Händen, nach einer kleinen Pause mit schmerzbewegter Stimme.


Wo ist noch Hoffnung, wenn der Kaiser selbst

Zum Mordwerkzeug in röm'scher Hand sich leihend

Den Todesstoß ms Herz des Volkes führt?

Wo Hoffnung, wenn der mächt'ge Kurfürst selbst

Verzagend rücktritt?!


[73] Er ist einen Augenblick in düsteres Sinnen verloren und fährt dann mit den folgenden Worten vom Stuhl auf.


Wo? Bei ihm!

Bei der Nation! Er wird sie um sich sammeln,

Er kann's und wird es! Muß es wollen! Er,

Er nur allein kann noch zum Retter werden!

Auf, hin zu ihm! In seine Heldenseele

Den Feuerbrand der meinigen zu schleudern,

In Glut zu wandeln seinen deutschen Sinn!

Er wird ins Land die Fackel mächtig werfen,

Zur lichterlohen Flamme es entzünden,

Aus der zum Phönix Deutschland sich verjüngt!


Er hat diese Verse in immer steigender Begeisterung gesprochen und stürzt bei den letzten Worten auf die Tür zu, bleibt aber gleich nachsinnend stehen.


Wie? Hast du auch bedacht, was du beginnst?

Den Freund willst du in solches Wagnis stürzen,

Im wagnisvollen Kampf dem Untergang,

Vielleicht des Vaters schwarzem Lose ihn

Entgegentreiben? – –


Pause, dann halb in sich verloren.


Darf deine ruhelose Seele auch,

In ihren eigenen Kometenlauf

Verstrickend, was sich liebend ihr genaht,

Des Freundes Haupt aufs Spiel, das Ungewisse, setzen?

Doch warum zögre ich, mit kleinem Zweifel,


Er schweigt wieder einen Augenblick.


Sein selbst unwürdig, mir Beschwerde schaffend!

Nicht bleibt uns Wahl, wo uns die Pflicht gebeut.

Die Möglichkeit zu leisten ist hienieden

Uns auch der Leistung Maß und ihre Pflicht,

Gebieterisch das Handeln uns bestimmend.

Er kann's vollbringen – darum muß er's auch.

Hätt' ich zehn Leben – alle setzt' ich ein!

Und darf ich von dem Freund geringer denken? –

– Und wenn's mißlingt – das neu erwachte Leben

Der Nation im Blute wird erstickt,

Was liegt am Dasein, was an mir und ihm?

Wo wäre Schwankung da bei solcher Wahl!

Gelingt es, bleibt der Freiheitskeim gerettet,

An den sich treibend Sproß auf Sproß ankettet,[74]

Und kann er auch das Höchste nicht vollenden –

Den Untergang kann er vom Lande wenden!


Er hat diese Verse mit immer steigendem Feuer gesprochen und stürzt auf die Tür zu. Als er diese zu erreichen im Begriff ist, öffnet sie sich und herein tritt Marie.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 73-75.
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Franz von Sickingen
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