Dritter Auftritt

[76] Die Vorigen. Oecolampadius.


ULRICH Oecolampadius an der Hand ergreifend und mit ihm einige Schritte zurückkehrend.

O frommer Herr! Ehrwürdiger

Oecolampadius! Euch trifft es gleich wie mich.

Sagt, wißt Ihr schon die große Trauerbotschaft?

OECOLAMPADIUS das Haupt wehmütig senkend.

Wohl weiß ich sie. Vom Ritter komm ich eben, der

Sie mir verkündet.

ULRICH hastig.

Und was sagte er?

OECOLAMPADIUS.

Er sagte nichts. Auf seiner Stirne lag

Des tiefsten Schweigens feierlichster Ernst.

Ich aber ging in meine Kammer hin,

Mein überfließend Herz vor Gott zu schütten[76]

Und im Gebete mich zu kräftigen.

O daß wir diesen Tag erleben mußten!

ULRICH mit Feuer.

Verzaget drum nicht! Noch ist nichts verloren,

Noch soll kein Kaiser das Palladium

Der Nation uns durch sein Machtwort rauben,

Noch lebt in deutschen Männern deutscher Sinn,

Und unser Arm weiß noch das Schwert zu schwingen!

Bald soll sich wenden, was Euch niederdrückt.


Er will mit großen Schritten zum Zimmer hinaus, wird aber von Oecolampadius zurückgehalten.


OECOLAMPADIUS.

Wie, Herr! Versteh ich recht? Ihr wollt doch nicht

Zum Aufstand greifen wider Kaisers Majestät?

Die reine Lehr' des Evangeliums

Durch rohe irdische Gewalt beflecken?

Bedarf es des? Glaubt Ihr, das Heilige,

Das Licht der Wahrheit und Vernunft, das uns

Ist aufgegangen, könnte jemals in

Dem Zeitenlauf der Unvernunft erliegen

Und würde nicht sich durch sich selbst verbreiten?

ULRICH von Oecolampadius zurückgehalten und einige Schritte zurückkehrend, mit Leidenschaft.

Ehrwürd'ger Herr! Schlecht kennt Ihr die Geschichte.

Ihr habt ganz recht, es ist Vernunft ihr Inhalt,

Doch ihre Form bleibt ewig – die Gewalt!


Er will wieder fort, wird aber von neuem von Oecolampadius, der ihm in den Weg tritt, zurückgehalten.


OECOLAMPADIUS.

Bedenkt, Herr Ritter! Unsre Liebeslehre

Wollt Ihr durchs Schwert, das blutige, entweihn?

Ihr wollt –

ULRICH halb unwillig und mit gesteigerter Leidenschaft.

Ehrwürd'ger Herr! Denkt besser von dem Schwert!

Ein Schwert, geschwungen für die Freiheit, ist

Das fleischgewordne Wort, von dem Ihr predigt,

Der Gott, der in die Wirklichkeit geboren.

Das Christentum, es ward durchs Schwert verbreitet,

Durchs Schwert hat Deutschland jener Karl getauft,

Den wir noch heut den Großen staunend nennen.

Es ward durchs Schwert das Heidentum gestürzt,

Durchs Schwert befreit des Welterlösers Grab![77]

Durchs Schwert aus Rom Tarquinius vertrieben,

Durchs Schwert von Hellas Xerxes heimgepeitscht

Und Wissenschaft und Künste uns geboren.

Durchs Schwert schlug David, Simson, Gideon!

So vor- wie seitdem ward durchs Schwert vollendet

Das Herrliche, das die Geschichte sah,

Und alles Große, was sich jemals wird vollbringen,

Dem Schwert zuletzt verdankt es sein Gelingen!


Er stürzt ab, indem ihn Oecolampadius umsonst zurückzuhalten sucht.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 76-78.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon