[78] Franzens Kabinett. Franz tritt aus einem Seitengemach, zwei offene Briefe in der Hand, die er auf einen Schreibtisch legt. Später Hutten.
FRANZ.
Zwei Briefe inhaltsschwer! Wie sehr verschieden –-
Und dennoch weisend auf denselben Punkt.
Straßburg und Karl! –
Karl und Straßburg – – beide Botschaften
Sich so entgegen – beide dennoch wie[78]
Zwei Fäden, die durch unsichtbarer Geister Hand
In ein Gewebe magisch sich verschlingen. –
Hält etwas inne.
Karl! Karl! Du hast mein Hoffen schlecht gelohnt.
Luther geächtet! Jede Hoffnung tot
Von deiner Seite! Dieses Reiches Kaiser –
Hast du des Reiches Feinden dich gesellt!
Er geht nachsinnend auf und ab.
Und Straßburg – Brav gearbeitet,
Mein alter wackrer Slör! Du schickst mir hier
Des großen StraKburgs Bündnis. Lothrings Herzog
Ist lange mir verbündet – der von Bouillon auch,
Mit Straßburg ist mir jetzt der ganze Oberrhein
Nicht nur gewiß, sein mächt'ges Beispiel wird
Auch Schwabens, Baierns, Frankens Städte alle
Mit leichter Müh' mir einen –
Er bleibt sinnend stehen.
Höchster Drang
Und höchste Möglichkeit des Widerstands,
Sie treffen beide wie auf ein dämonisch
Gegeben Stelldichein in einer Stunde
Verhängnisvoll sich mir zusammen! –
Er macht wieder einige Schritte durchs Zimmer, in Gedanken versunken.
Zerrissen, Karl, hast du durch diesen Schritt
Jedwedes Band – – zum Retter der Nation,
Zum Hersteller des Reichs wollt' ich dich machen,
Mit Herzleid sah ich, wie du es verschmäht;
Doch nicht einmal das träge Gehenlassen
Genügte dir – das Äußerste fügst du uns zu.
– Doch gerade aus dem Äußersten kann auch
Äußerstes Heil sich rettend uns erzeugen!
Pause, dann aus dem Nachsinnen, in das er verloren, auffahrend.
So oder so! – Du selber hast geworfen
Mir oder dir die eh'rnen Würfel. Fest
Und ohne Wanken hebt mein Wille sich,
Und Götterruhe thront in meinem Innern,
Wie nur ein reiner Vorsatz sie erzeugt.
Hutten ist eingetreten.
Da kommt mein Hutten! Seine reine Seele,
Sie sei mein Kompaß und beseitige
Den letzten Zweifel, der sich regen kann.
[79] Er wendet sich Hutten zu, der inzwischen mit verstörter Miene und in seinen Anblick vertieft vor ihm stehengeblieben ist. Mit heitrem Ton.
Nun, Freund! Es lagert sich des Unmuts Wolke
Auf deiner Stirn. Dein Auge blickt verstört?
ULRICH.
Du kennst die große Wormser Kunde – –
FRANZ.
Freilich!
Ja, leider kenn ich sie! 's ist schlimme Mähr',
Doch laß dich nicht zu Boden drücken. – Komm,
Ich will Dir was Ergötzliches erzählen,
Um deine finstre Miene aufzuhellen.
ULRICH halb zerstreut.
Ergötzliches?
FRANZ.
Ja wohl! 's gibt Fehde, Ulrich?
Horch auf! Mir hat der Erzbischof von Trier,
Der Kurfürst Richard, Luthers schlimmster Feind, –
– Derselbe, welcher für französ'sche Kronen
Die Kaiserkron' an König Franz verkaufte,
Wenn ich nicht mächtig Einhalt ihm getan –
Zu einem lust'gen Handel Grund gegeben.
Du hörst nicht, Ulrich?
ULRICH auffahrend.
Doch, ich höre schon.
FRANZ.
Du weißt, der Hilchen Lorch hat lange schon
Mit Trier Span und tät ihm künden. Drauf
Fing er zween Trierer Vornehme und hielt
In Haft sie. Diese wollten gern der Haft
Entledigt sein und wählen mich zum Obmann
Der Sache, die ich dahin schlichten tät',
Daß sie ein Lösgeld zahlen sollten. Jene
Beschwören's auf die Bibel. Lorch läßt sie
Auf meine Bürgschaft ziehen. Doch der Pfaff,
Der Erzbischof, entbindet sie des Eides,
Verbeut so Zahlung wie auch Haftstellung. –
Ich denk's dem Pfaffen tüchtig einzutränken;
Kannst auch dabei den Unmut dir verkühlen!
Doch straf mich Gott, du hörst ja nicht?
ULRICH ernst.
Verzeih,
Wenn mich in diesem Augenblicke, wo
Zugrunde geht des Reiches große Sache,
Schutzlos die Nation dem Untergang verfällt,
Der kleine Handel wenig nur berührt.
Pause, mit Wärme.
[80]
Und sollte Sickingen nicht auch so fühlen?
Wär's möglich, daß es dich erfreuen könnte,
In dieses Augenblickes schwerstem Drang
Die Kraft in kleiner Fehde zu zersplittern!
Wie, Sickingen! Kann dir's genügen,
Auf deinen Burgen müßig hier zu liegen,
Gelegentlich dem gier'gen Wolf ein Lamm
Aus dem gefräß'gen Rachen zu entreißen?
Mich schützest du, wie du Reuchlin geschützt.
Wen schütz'st du nicht? Aquila, Hausschein, Bucer –
Wie könnt' ich alle künden, all die Freiheitslehrer,
Die Unterdrückten alle, die auf deinen Burgen
Sichres Asyl vor Pfaffenhaß und Tyrannei,
Vor röm'scher Vergewaltigung gefunden!
Doch ist dies alles, was gemeine Not
Verhoffen darf von deinen Riesenkräften?
Willst du, zum Schirm des einzelnen bemüht,
Das große Ganze aus dem Aug' verlieren?
Ist's alles, was der ungeheure Druck,
Der Deutschlands Freiheit eisern niederhält,
Der ebenso ertötend wie entehrend
Am Marke frißt der deutschen Nation,
Des Volkes Gut verpraßt, mit Bann und Acht
Die Geister tötet, unsres Reiches Größe
Darniederhält, den Aufschwung der Nation
Zur edlen Freiheit, die wir wachgerufen,
Erstickt – in einer mördrischen Umarmung
So Leib wie Seele uns zugleich erwürgend,
– Ist's alles, was des Landes Schreckenslage
Erheischen darf von seinem besten Helden!?
Pause, mit Wärme.
Sieh, Franz, nur kleine Seelen bleiben hinter dem
Vermögen, doch der große Mann erfüllt
Das ganze Können in der großen Sache.
Und wenn in Ungewisser Waage schwankt
Dem ernsten Prüfungsblick die eigne Kraft,
Gemessen mit der Seele großen Zwecken –
Dann schwingt er sich getrost zum Halbgott auf,
Läßt hinter sich des Staubs Bedenklichkeiten,
Verbrennt in heiliger Begeistrung Feuer
Sein irdisch Teil und stürmt titanenhaft
Selbst den Olymp! Das sind der Vorzeit Mähren,
[81] Das der Titanenkampf, der ewig wird geschlagen,
Solang es Männer gibt und einen großen Zweck!
FRANZ.
Sprich deutlich, Ulrich. Wo willst du hinaus?
ULRICH.
Deutlich begehrst du? Und ich sprach dir doch
Von der gemeinen Not des Vaterlands,
Die also deutlich dieses Reich bedrückt,
Daß jeder Sinn zum Aug' wird, sie zu sehn! –
Fürwahr, ich treff dich heut in sondrer Stimmung an! –
– Warst sonst nicht so, wenn ich dir redete
Von der gemeinen Sach'! Traun, Franz – du bist
– Sehr frostig heut!
FRANZ.
Meinst du?
ULRICH.
Doch was es sei,
Was dich für eines Augenblickes Dauer
Dir selbst entrückt – ich rufe schnell dich zu
Dir selbst zurück. Leg ab den kalten Ton,
Entzünde dich, entflamme deinen Willen
Am stolzen Anblick deiner eignen Kraft.
Sieh, Franz, wer steht wie du in Deutschlands Gauen?
Auf dich hofft jeder Freund der neuen Lehre,
Auf dich blickt jeder Stand im weiten Reich!
Der ganze Adel ehrt als Führer dich,
Der Städter sucht dein Bündnis, folgt getrost,
Ermutigt, wenn du führst, von deinem großen Namen.
Der Bauer hegt zu dir nur sein Vertrauen,
Denn stets bist du des Schwachen Hort gewesen,
Und wenn Gewalt und ungerechter Druck
Ihn rings mit Groll füllt gegen unsern Stand –
Du bist's, auf den er schaut in seiner Not.
Auf deinen Ruf drückt rings ein Bauernheer
Die Pike in die harte Hand. Es strömt,
Wenn die fünf Kugeln wehn im offnen Feld,
Vom Donaustrom, von Lothringen, vom Belt,
Vom Alpensaum, wo er in Schlachtenliedern
Verherrlicht deiner Waffentaten Ruhm,
Der Lanzknecht her zu deinen Siegesfahnen.
Die Fürsten scheuen dich. Es scheltet dich
Den »Gegenkaiser« selbst der Feinde Menge,
Im Schimpf noch ehrend und erkennend deine Macht!
Sag, ist's nicht so?
FRANZ.
Es ist so, wie du sagst.
Ist so; zum Teil. Doch weil die Eiche prangt[82]
Und mächt'gen Schatten ringsum breitet, soll ich
Die Axt anlegen an den starken Stamm?
ULRICH groß.
Es ist die Macht das höchste Gut des Himmels,
Wenn man sie nützt für einen großen Zweck;
Ein elend Spielzeug, wenn zum Flitterstaate
Sie nur die Hand beschwert, in der sie ruht.
Wie? Hast du dich dein Lebelang geplagt,
Sie großzuziehn, um ihres Rufes willen
In hundert Schlachten deinen Leib zerhämmert,
In hundert Fehden sorglich sie gemehrt,
Bei groß und klein, bei Vornehm und Gering
Des Namens Größe mühvoll dir errungen,
Um jetzt, wo sie in herrlicher Entfaltung
Dein Haupt gleich einem Heil'genschein umprangt,
Dein Ruhm in Burgen wie in Hütten strahlt,
Sie der Verwesung nutzlos preiszugeben?
Um dir in eitler Selbstbespiegelung
Drin zu gefallen? Fluch auf solche Macht!
Selbst Gottes Macht wär' Eitelkeit und Sünde,
Wenn er zur Schöpfung sie gekehrt nicht hätte!
Pause; gemäßigter.
Und wär's denn möglich, daß du anders dächtest?
Hast du nicht selbst mit mir die Schriften ausgesendet,
Die an des Landvolks Herzen mächtig greifen,
Dich ihm als Haupt und Führer künden sollten
Im großen Kampf? Denk an den Karsthans – denke
So manchen Funkens, den wir angefacht!
Wie? Wär' dir in der Stunde der Entscheidung
Dein Sinn vertauscht? Du solltest deinen Willen,
Den ich wie Götterspruch stets hab geachtet,
Gleich unverrückbar und unwandelbar –
Du solltest ihn jetzt nicht mehr wollen? – Nein!
Das ist unmöglich, Franz! – Du schweigst?
FRANZ.
Ich schweige,
Weil's wohltun muß, von so beredtem Munde
Das eigne Herz sich klargelegt zu sehn.
ULRICH hastig.
Jetzt bist du wieder ganz du selbst!
FRANZ.
Du irrst.
Bin dir nicht näher als im Anfang; war
Im Anfang dir nicht weiter. Sprich heraus![83]
Das Ziel nicht zeige, zeige auch den Weg.
Denn so verwachsen ist hienieden Weg und Ziel,
Daß eines sich stets ändert mit dem andern
Und andrer Weg auch andres Ziel erzeugt.
ULRICH.
Der Weg ist klar; 's ist einer nur, der hilft!
Wirb an ein Heer, laß deine Banner flattern,
Ruf zu dir deine Stützen, fordre dann
In Waffen Religionsfreiheit vom Kaiser!
Die großen Städte scharen sich um dich,
Die Fürsten selber, die der neuen Lehre freund,
Sie müssen, wenn auch neidisch dir gesinnt,
Dich unterstützen, können wenigstens
Nicht gegen dich.
FRANZ.
Du meinst, ich soll
Vom Kaiser einen Religionsabschied
Erkämpfen? Sieh – das will ich eben nicht!
Sieh zu, daß uns auf solchem Wege nicht
Des Spieles Einsatz den Gewinn verschlingt!
ULRICH.
Und welcher Einsatz wäre wohl zu hoch,
Wo es sich um des Geistes Freiheit handelt?
FRANZ sich erhebend; bedeutend.
Bis jetzt hat Rom das Reich doch nur beherrscht –
Soll's jetzt uns auch noch – teilen?
Kleine Pause.
Sieh, du weißt,
Wie ich der neuen Lehre zugetan,
Wie Rom aus voller Seel' ich hasse; doch –
Ich bin kein Glaubensdoktor! Darum eben,
Darum besonders haß ich's, weil es in Verfall
Des Reiches Größe uns gewandelt hat,
Der Nation gewesne Herrlichkeit
Uns in ein elend Schattenbild gemindert,
Den Aufschwung deutschen Geistes uns verkümmert,
Der seine eignen Wege gehen will!
Vom vierten Heinrich bis zum zweiten Friedrich,
Wo war ein Kaiser, wo ein deutscher Mann,
Der Großes wollte für das Reich vollbringen,
Und diese Schlange nicht an seiner Ferse fand,
Durch seine Bischöfe hat Rom das Reich
Beherrscht, durch seine Pallien-, Ablaß-,
Annatengelder hat's uns ausgesaugt,
Durch seinen Bann und Pfaffentücken hat's
Den Fürsten Mittel, Vorwände geliehn,[84]
Die Kaiser uns zu schwächen, widers Reich
Selbstherrisch sich zu setzen, und uns so
Herabgebracht, daß wir zum Spotte noch
Den ein'gen starken Nachbarn werden sollen –
Das hat dich stets nicht weniger ergrimmt
Denn mich, das willst du ändern!
ULRICH sturmisch.
Alles Blut
In meinen Adern setz ich freudig dran!
FRANZ.
Und ist es denn geändert, wenn wir auch
Vom Kaiser uns der neuen Lehre Freiheit
Erkämpfen? Wird dann Rom drum weniger
Im Reich durch seine Pfaffenfürsten herrschen?
Wird's wen'ger in der deutschen Römlinge
Gebiet das Land ausrauben? – Ja, noch mehr:
Ich seh gar wohl, wie alles kommen würde,
Kann dir's genügen, wenn die reine Lehre,
Das Wort, das uns zum Heil verkündet ward,
Zum – Fürstenprivilegium herabsinkt,
An jeder Grafschaft Grenze seine Grenze hat
Und so, wie Zufalls Willkür launenhaft
Den Fürsten an den Papst hin wirft, den an
Den Luther, obsiegt oder unterliegt?
Willst du der Nation gemeine Sache
Zur Herrensache machen?
ULRICH für sich.
Wahr, zu wahr!
FRANZ.
Und doch ist alles dies das Ärgste nicht.
Das Schlimmste kömmt noch!
ULRICH leidenschaftlich.
Welcher Dämon wohnt
Schwarzer Beredsamkeit auf deiner Zunge,
Daß du die Lebenshoffnung selber mir
In Tod umwandelst?
FRANZ.
Traun! Das ist das rechte Wort!
Sieh zu, daß wir nicht selbst statt neuen Lebens
Den Todesstoß der Nation erteilen!
Durch solchen Religionsabschied wird Deutschland
Entzwei geteilt, nicht bloß in zween Teile,
Ein römisch und ein evangelisch Deutschland –
Es wird in hundert Stücke klein gerissen!
Zerschnitten wird das letzte Band, das noch
Den Kaiser und das Reich zusammenbindet –
Es wird zum Kaiser jeder Fürst in seinem Land!
Bitter lachend.
Darum sind sie der neuen Lehre Freund![85]
– Du weißt, wie ich die deutschen Fürsten schätze;
Sie sind's, die nach den Pfaffen ich zumeist
Haß und verabscheue. Sie sind der wahre Feind
Des Reichs und der gemeinen Freiheit. Lüstern
Streckt ihre maßlos eigennütz'ge Zunft
Nach jedes Standes Recht im weiten Reich
Die gier'gen Krallen aus; sie sind im Herzen
Dem Adel, Bürger, Bauer gleich sehr feind.
Wenn sie den Adel jetzt am meisten hassen,
Die Städte freundlich zu begünst'gen scheinen,
So ist's, weil sie uns fürchten noch. Gib acht,
Sind wir erst ihnen fürchterlich nicht mehr,
Wie schnell sie, um den Städter zu erdrücken,
Auf uns sich stützen würden. Denn nur Herrschsucht wohnt
In ihren für das Ganze toten Herzen
Und schwellt zum Schwamm sie auf, der in sich saugt
Die Lebenssäfte des gemeinen Wohls!
Wie? Soll ich ihrem frevlen Ehrgeiz mich
Zur Brücke machen? Gegen Kaisers Majestät
Deshalb mein Schwert ziehn? Dieses große Reich,
Das einst die Welt beherrscht und dessen Krone
Die erste jetzt noch heißt der Christenheit,
Zerfetzt in hundert Lappen ihnen hin
Zur Beute werfen? – Da sei Gott für, Ulrich!
Dann ständen wir am Grabe der Nation,
Am Sarge Deutschlands und am Sarge auch
Des deutschen Sinnes. Seine Totengräber,
Nicht seine Auferwecker wären wir! –
Du willst des Geistes Aufschwung mächtig heben?
Glaubst du, wenn man das Reich in Fetzen stückelt
Und Deutschland nichts mehr als ein wüster Haufen
Von groß und kleinem Grundbesitz geworden,
Es solle sich in solchen Fürstengütern,
Bunt durcheinanderliegend, ränkesüchtig,
Jedes dem eigenen Intresse folgend,
Ein großer Sinn entfalten? – Täuschung wär's!
Es streicht nicht mehr die Zugluft der Geschichte
Durch solche Landparzelln. Du könntest eben gut
Den Sturm in einem Wasserglas entfesseln.
Die weite Ebne liebt er, wo er mächtig braust!
Dann siegt der Krämergeist, der Höh'res nichts[86]
Als seine eigne Pfefferdüte kennt!
Ins Kleinste schrumpft jedweder Sinn zusammen,
Das Eigenste, das Nächste gilt allein;
Einrosten ins Erbärmliche die Seelen,
Zugrunde geht der alte Heldensinn,
Der machtvoll tönt aus unsres Lands Geschichte
Und deutscher Männer Busen einst bewegt,
Das höchste Erbteil unsres großen Volks,
Das uns ans Ohr wie Pflichtruf mahnend klingt.
Der Geist auch stirbt mit dem gemeinen Wesen –
O glaube nimmer, in Pygmäenleibern
Uns Riesenseelen großzuziehn!
ULRICH der mit steigender Bewegung zugehört, im äußersten Affekt.
Mann – Franz!
Verzweifelst du an deines Volkes Zukunft?
Kannst du das schwarze Los des Untergangs
Im Geiste werfen über die Nation?
FRANZ bewegt.
Verzweifeln lieber wollt' ich an dem eignen Heil
Als tatlos an dem Vaterland verzagen!
Das ist mein Sinn nicht! Gern will ich die Haut
Zu Markte tragen für die große Sache,
Fürs wahre Wohl des Landes. Was wir wollen,
Das ist ein ein'ges, großes, mächt'ges Deutschland,
Zertrümmrung alles Pfaffenregiments,
Vollständ'ger Bruch mit allem röm'schen Wesen,
Die reine Lehr' als Deutschlands ein'ge Kirche,
Wiedergeburt, zeitmäßige, der alten,
Der urgermanischen gemeinen Freiheit,
Vernichtung unsrer Fürstenzwergherrschaft
Und usurpierten Zwischenregiments
Und, machtvoll auf der Zeit gewalt'gen Drang
Gestützt, in ihrer Seele Tiefen wurzelnd,
Ein – evangelisch Haupt als Kaiser an der Spitze
Des großen Reiches! – Sieh, nur deine Seele
Werf ich gleich einem Spiegel dir zurück.
ULRICH achselzuckend.
Treu ist das Bild. Doch kannst du immer noch
Von Karl das hoffen? Niemals, niemals wird
So Riesenhaftes er beginnen! Niemals
Von seinem Papsttum lassen. Kann's dich freun,
Den Geist in müß'gen Bildern zu ergötzen,[87]
Für welche niemals sich Erfüllung naht?
Aus frommen Wünschen quillt uns keine Hülfe.
FRANZ langsam, gemessen.
Auf Karl noch länger hoffen – wäre Wahnsinn.
Nichts mehr von ihm! Es hat in seiner Brust
Der Fürst und Pfaff' den Kaiser tot gemacht.
ULRICH leidenschaftlich.
Auf was, auf wen denn hoffst du? Welcher Fürst –
FRANZ ihn unterbrechend.
Auf Fürsten doch wohl nicht! –
ULRICH.
Verschloßnes Rätsel, brich dein Schweigen endlich,
Spann mich nicht auf die Folter! Ungeheures
Verkündet deine Stirne, sinnest du!
FRANZ der einige Male wie nachsinnend im Zimmer umhergegangen, vor Ulrich stehenbleibend, gedankenvoll.
Sieh, wie sich Kleines oft zum Großen findet
Und just durch seine unscheinbare Hülle,
Gleichwie in magischer Verknüpfung uns
Zum Mittel wird, das Größte zu vollenden,
Den Zufall selbst zur Schicksalsfügung wandelnd.
– Entsinnst du dich, was ich vorhin dir habe
Von meinem Span mit Triers Erzbischof erzählt?
Es hat der Pfaff den beiden Trierern, sagt' ich,
Die Zahlung wie die Haftstellung verboten.
Du hörtest nicht.
ULRICH.
Doch, doch, ich hab's gehört.
FRANZ.
Jetzt kommt der Handel nun auf mich zurück,
Der ich auf jener Flehn zum Bürgen wurde.
So hab ich, deucht mich, höchst gefügen Grund,
Dem Kurfürst Fehde anzukünden.
ULRICH.
Und
Was soll zu unsrer großen Sache der
Geringe Handel?
FRANZ.
Just des Handels Kleinheit
Ist's, die in wundervoll verschlungner Fügung
Der großen Sache Sieg verleiht! Ich ziehe
Mit Heereskraft vor Trier. Niemand wird
Mehr als gewohnte Händel drin vermuten.
Um eine Schätzung, glaubt man, handle sich's,
Und niemand, als vielleicht ein Reichsbefehl,
Ein lahm-papierner, wird zum Kurfürst stehn.
Ist er allein, genüget mir die Hälfte[88]
Von meiner Macht, die Stadt mir zu erobern.
Doch hab ich Trier erst erstürmt, so drücke
Den Kurhut, von des Pfaffen Haupt gerissen,
Ich kühnlich auf die eigne Stirne mir.
Verweltlichung der Kurhüt' ist schon lang
Bei allen, die der neuen Lehre huld'gen,
Der dumpfe Ruf weitaus im deutschen Land.
Karl liebt den Kurfürst ohnehin nicht, hat
Ihm noch den fränk'schen Handel nicht vergessen.
Und hab ich mir den großen Waffenplatz
Erbeutet erst – wer wollte mich auch hindern? –
Dann erst entbiet ich meine ganze Macht,
Ruf alle Freund' in Waffen um mich her;
Dann kann ich kühn mit Kaiser und mit Reich
Den Tanz bestehn.
ULRICH.
Es wär' ein harter Schlag
Für Rom! Und eine Bresche wär' es für
Das Evangelium. Doch immer noch –
FRANZ.
Laß mich vollenden. Prologus nur wär's,
Das Vorspiel nur zu weitrem, größrem Tun.
Schmückt erst der Kurhut diese Stirne – dann –
ULRICH gespannt.
Dann?
FRANZ ganz nahe an ihn herantretend, laut.
Dann bin ich von dem Holz, aus dem man – Kaiser schnitzt!
Ulrich fährt zusammen.
FRANZ nach einer kleinen Pause langsam fortfahrend.
Ich weiß, 's ist Hochverrat, was ich da sage.
Doch ist's nicht eitle Ehrsucht, die mich lockt.
Verderben über mich, wenn mich die Gier
Nach eigner Größe treibt! Mich treibt allein
Des Landes höchste ungestüme Not
Und dieser Zeit gebieterischer Drang.
Nur einer von uns beiden konnt's vollbringen,
Karl – oder ich! Ich sehe keinen Dritten,
Der es vermag. – Was gäb' ich drum, wenn Er's
In seine Kaisershand genommen hätte.
Ich selbst hab mächtig an sein Herz gegriffen –
Es war umsonst! Taub für den Schrei der Zeit,
Erstorben für der deutschen Freiheit Ruf,
Beherrscht von Pfaffen und von span'schen Schranzen,
Hat er's verschmäht! – So weih ich männlich mich
Dem schweren Lose, das mir ward geworfen.[89]
Auf ihn, auf mich nicht, die Verantwortung.
Weit über meine Pflicht zum Kaiser geht
Die Pflicht, die mir das Leben der Nation,
Der deutschen Freiheit Wehruf und der Untergang
Des Vaterlandes mächtig auferlegt!
Ich war's, der ihm die Krone hat verschafft.
Seltsame Schickung muß ich drin erkennen,
Doppelte Mahnung willig drin verehren,
Die schlecht vergebene ihm wieder zu
Entreißen. – Jetzt hab ich vollendet, Freund!
Weißt du 'nen andern Weg zum selben Ziel,
So sprich, ich bin bereit, ihn einzuschlagen. –
Jetzt ist's an mir zu fragen: Schweigst du, Ulrich?
ULRICH feierlich.
Ich schweige, weil durch meine Seele zittert
Der ganze feierliche Ernst der Stunde.
Wie groß, du Held, stehst du vor meinem Blick!
Hier weih ich deinem heil'gen Unternehmen,
Dies reine Herz, den letzten Tropfen Bluts!
Und kann ich auch nicht Reisige und Mannen
Dir in dein Lager führen, will ich Größres tun.
Zur Werbetrommel soll die Feder werden,
Hinreißen in Bewunderung mein Volk,
Halb Deutschland soll sie in dem Lager führen,
Wenn du dem Kaiser gegenüberstehst,
Zum Riesenfittich will ich aus sie breiten,
Der dich begeistert auf zum Ziele trägt!
Sie stürzen sich in die Arme und halten sich einige Zeit umschlungen.
ULRICH.
Und wann beginnt die Fehde gegen Trier?
FRANZ.
Gerüstet bin ich, unverweilt den Tanz
Mit Trier zu beginnen. –
Es haben meine Werber mir geworben
Ein ziemlich Heer. Bei Straßburg sammelt sich's,
Das eben meinem Bündnis beigetreten;
Von dort will ich's gen Triers Mauern führen.
Doch hab zuvor nach Landau ich berufen
Den ganzen Adel Schwabens, Frankens und
Des Rheinstroms, fester sie an mich zu knüpfen, sie
Zu Schutz und Trutz mir kräftig zu gesellen.
Dorthin geh ich jetzt stehnden Fußes ab.
ULRICH.
Willst du die Edeln all nach Trier entbieten?[90]
FRANZ.
Das ist nicht Not. Hätt' ein gefährlich Aussehn.
Nur Fürstenberg, und ein'ge wen'ge, die
Mir näherstehn und die ich wohl bedacht
Nach Landau grade nicht entboten habe –
Dein Vetter Frowin unter andern auch –
Die sollen mich geleiten. So genügt's.
Später kommt für die andern auch die Zeit.
ULRICH.
Ich folge dir nach Landau.
FRANZ.
Nein. Ich habe
Für dich ein anderes Geschäft. Du sollst
Nach Mainz zum Kurfürst Albrecht hin.
Du weißt, der Brandenburger ist mein alter Freund,
Hat viel mit mir gesponnen, liebt auch dich.
Er ist der bessern Sache unverloren.
Es kämpft in seinem schwankenden Gemüt
Das Alte mächtig mit dem Neu'n, und wenn er
Als Erzbischof die neue Lehr' verfolgt,
Tut er's doch nur zum Schein, mit Widerstreben.
Zu ihm zieh hin. Er ist des Trierers Nachbar,
Darf ihm nicht Vorschub tun; auch muß ich
In seinem Land den Rheinstrom überschreiten;
Die Übergänge will ich offen finden.
– Am besten wär' es freilich, er entschlösse sich,
Mit offner Macht mich frei und grad heraus
Zu unterstützen; 's gäbe guten Schein
Und hielt auch andre Naseweise ab,
In meinen Handel sich zu mischen.
ULRICH.
Glaubst du, daß er so weit sich wagen wird?
FRANZ.
Unmöglich wär's nicht. Sieh, ich habe ihn
Schon lang durchschaut. Er möchte gar zu gern
Den Kurhut, den er trägt, in einen weltlichen
Auf seinem eignen Haupt verwandeln.
Das zieht ihn auch zu Luthers Lehre hin!
Doch könnt' das lange währen, denn gar weit bei ihm
Ist jene Brücke, die vom Wollen zum
Entschließen führt. Sag ihm vom Ritter Franz,
Es gelte: Zug um Zug. Er weiß gar wohl,
Franziskus hält sein Wort so gut als käm' es
Von Kaiser und von Reich! – Nun lebe wohl!
Sag deinem Vetter, daß ich ihn erwarte,
Vor Trier im Lager findest du mich wieder.
Er umarmt ihn und geht ab.
[91]
ULRICH ihm nachsehend.
O welch ein Held! Nicht eine Tugend gibt es,
Die an des Altertums Heroen wir,
An Roms und Hellas' sangverklärten Helden,
Staunend bewundern und die nicht an ihm,
Dem einen Mann, erhöht sich wiederfände!
Will fort, als Marie erscheint.
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
|
Buchempfehlung
In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.
138 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro