Elfte Szene.


[220] Königin. Ranzau. Gerichtsherr im Hintergrunde bleibend. Guldberg sich verbeugend und Königin und Ranzau zwischen sich, und Köller, der sich ebenfalls verbeugt und nach hinten abgeht, nach dem mittlern Vordergrunde durchlassend. Guldberg spricht noch während des Nächsten einige Worte mit Köller am Ausgange, und dieser geht dann ab.

Schnell zu sprechen und zu spielen.


KÖNIGIN sehr rasch eintretend. Ich verstehe Euch nicht, Graf Ranzau, Eure Bitte klingt wie Befehl, und alles um uns her hat ein befremdlich geheimnisvolles Ansehn. – Ihr schweigt? – Was gibt's?[220]

RANZAU. Eure Majestät mögen meine Person außer acht lassen: ich bin ein unkundig Werkzeug der Befehle meines Königs.

KÖNIGIN. Des Königs selbst? Was will der König?

RANZAU auf Guldberg, welcher den Gerichtsherrn zum Schreiben an einen Tisch rechterhand gewiesen, deutend. Staatsrat Guldberg allein ist mit dem Auftrage betraut, Majestät.

KÖNIGIN für sich. Weh mir, der falsche Däne! – Laut. Staatsrat Guldberg, was habt Ihr mir von des Königs Majestät zu sagen? Man hört den taktmäßigen Schritt einer Abteilung Soldaten, welche hinter dem Vorhange aufmarschiert. Halblaut klingt das Kommandowort »Halt! – Gewehr beim Fuß«, und es schüttert das gleichmäßige Aufstoßen der Gewehrkolben. Die Königin horcht erschreckt, und Guldberg zögert, bis es vorüber, mit der Antwort. Was bedeutet das? Eure Antwort!

GULDBERG. Es sind Sicherheitsmaßregeln, Majestät.

KÖNIGIN. Gegen wen?

GULDBERG. Gegen Struensee.

KÖNIGIN. Wer wagt es, gegen den Grafen Struensee zu verfahren?

GULDBERG. Der König. – Und auf des Königs Befehl der Staatsrat Ove Guldberg. – In diesem Zusammenhange bin ich von des Königs Majestät beauftragt, einige Auskunft zu erbitten von Eurer Majestät, Frau Königin.

KÖNIGIN für sich. Allmächtiger, so weit ist es gekommen! Laut. Wenn der König durch Euch spricht, so redet, und seid eingedenk, daß jedes Wort auf Euer Haupt gesammelt wird.

GULDBERG. Des bin ich eingedenk vor der Königin Dänemarks. Der König, mein Herr, hat den bisherigen Grafen Struensee soeben zur Verantwortung gezogen und ihn schlimmen Regimentes, schlimmer Aufführung bezichtigt.

KÖNIGIN. Wie ist dies möglich? Vor Minuten noch hab' ich Graf Struensee gesehen, wie er frank und frei durch die Gesellschaft schritt!

GULDBERG. Diese Minuten sind die entscheidenden seines Lebens geworden. Während ihrer hat er vor dem Könige gestanden, vor seinem Richter!

KÖNIGIN. O Gott!

GULDBERG. Seine politische Macht ist in diesem Gerichte zugrunde gegangen. Aber es handelte sich nicht bloß um diese –[221]

KÖNIGIN. Sondern –?

GULDBERG. Sondern um Freiheit und Leben!

KÖNIGIN. Weshalb?

GULDBERG. Königin! Struensee hat ein zu weiches, zu enthusiastisches Herz als Staatsmann. Dies hat seine Macht gestürzt, vielleicht aber Freiheit und Leben ihm gerettet. Seine kindliche Offenheit hat den König gerührt; von Euch, Majestät, wird es abhängen, welche Wendung sein Schicksal nehmen soll!

KÖNIGIN. Von mir?

GULDBERG. Von Euch! Königin! Struensee hat Dinge ausgesagt, die für der Königin von Dänemark Würde und Ehre beleidigend sind –

KÖNIGIN. Das ist nicht möglich! Das kann nicht sein, denn es wäre Lüge!

GULDBERG. Er hat's gesagt, bestätigt, unterschrieben.

KÖNIGIN. Nein, nein! Das kann Struensee nicht gesagt haben! Struensee ist kein Lügner!

GULDBERG. Dann ist er ein Lügner; denn er hat's gesagt. – Da aber Eure Majestät dem widersprechen und ihn der Lüge zeihn, so ist es anders, und nun ist er verloren.

KÖNIGIN. Was?

GULDBERG. Jene leichtsinnigen Aussagen konnte ihm der König vergeben, besonders da der König sein rasches, übertreibendes Herz kennt und immer lieb gehabt. Jetzt aber, da die Königin jene Aussagen Lügen straft, jetzt ist er offenkundiger Verleumder der Königin von Dänemark, und anzuklagen auf Beleidigung der Majestät! – Schreibt's nieder, Vorsitzer des höchsten Gerichts!

KÖNIGIN. Gerechter Gott! – Wartet! – Was steht auf solche Anklage vor dem höchsten Gericht?

GULDBERG. Es steht darauf der Tod durch Henkershand!

KÖNIGIN. Allmächtiger! – Welch ein Wirrsal! – Pause. Wie kann ich ihn retten, Ranzau!

RANZAU die Achseln zuckend. Ich bin nicht eingeweiht!

KÖNIGIN. Guldberg!

GULDBERG. Die Wahrheit hilft vor Gott und Menschen!

KÖNIGIN. Wieviel ist hier Wahrheit! – Und wenn ich sage, daß es nicht Verleumdung gewesen, was er ausgesagt von mir – rettet ihn dies?[222]

GULDBERG macht eine zustimmende Bewegung.

KÖNIGIN. Nun? Sprecht!

GULDBERG. Wenn Ew. Majestät dies schriftlich bestätigen wollen – Zum Gerichtsherrn. schreibt's in zwei Zeilen nieder!


Kurze Pause.


KÖNIGIN. Was ist ein erlogner Makel an meiner Ehre gegen ein Menschenleben! Gebt her! Eilt hin und nimmt die dargereichte Feder; in diesem Augenblicke reißt die Musik, welche rechts aus dem Saale von Zeit zu Zeit wieder vernommen worden ist, grell ab, und man hört großen Lärm. Was ist das?

GULDBERG. Um die Maßregeln gegen Struensee ungestört zu betreiben, läßt der König das Fest aufheben und das Schloß räumen!

KÖNIGIN. Welch furchtbar eilig Gericht – Es sei! – Sie fängt an zu schreiben. Nein! – Ihr seht so gierig drauf! – Ihr legt mir Schlingen! – Ihr betrügt und belügt mich! – Struensee hat mich nicht angeklagt, ich kenne ihn!

GULDBERG. Euch angeklagt! Das sollt' er wagen! Sich hat er angeklagt, und beim Danebrogpanier, es soll ihm blutige Frucht tragen, wenn Ihr ihm nicht helfen könnt!

KÖNIGIN. Ich also kann ihm helfen! So sei es denn! Sie unterschreibt – und bleibt dann starr und unbeweglich im Sessel sitzen.

GULDBERG leise. Jetzt sind sie beide verloren! Er geht rasch hin, nimmt das Blatt, geht an die Tür zum Könige, winkt dem Gerichtsherrn, übergibt es diesem, schlägt den Vorhang ein wenig zurück, winkt nach innen den Trabanten, und läßt den Gerichtsherrn eintreten, leise zu ihm sagend. Zum Könige! Dann geht er im Vordergrunde quer über die Bühne zu Ranzau.

RANZAU leise. Könnt Ihr's verantworten vor Gott?

GULDBERG ebenso. Vor meinem Vaterlande kann ich es; es spricht für mich vor Gott. – Ihr haftet für die Königin, Graf Ranzau, wie für eine Staatsgefangene.


Man hört schon während dieser Worte heftige Tritte, Stimmenlärm und darunter Struensees Ruf: Gebt Raum und öffnet die Pforte! Unmittelbar darauf Köllers Stimme: Fällt das Gewehr! Stimmengewirr.


KÖNIGIN aus ihrer Erstarrung auffahrend. Das ist Struensee! – Hierher! – Du hast gelogen, Guldberg, er ist frei!

GULDBERG rasch nach hinten gehend, um ihr nötigenfalls den Weg zu vertreten. Frei wie das Wild, in dessen Leib des Jägers Kugel fliegt. Man hört Schwerter klirren und den Fall eines Körpers.[223]

RANZAU. Faßt Euch, Majestät! Bleibt Königin auch in der Ohnmacht! Er streckt ihr die Hand entgegen.

KÖNIGIN die Hand einen Augenblick ergreifend. Ich dank' Euch, Ranzau! Diese Mahnung ist ein Trost. Hinweg über Lug und Trug, und Fassung im Untergange!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 24, Leipzig 1908–09, S. 220-224.
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