Vierte Szene.


[270] Das Theater ist einen Augenblick leer, es donnert in der Ferne.

Schiller eilig und aufgeregt aus der zweiten Tür rechts kommend; gleich darauf Laura, welche in der ersten Tür links erscheint, als Schiller hurtig – nachdem er einen Augenblick an die offene Mitteltür getreten – bis in die Mitte des Theaters vorgekommen ist. Dann Generalin; dann Gräfin, beide aus der ersten Tür links kommend, endlich Koch; zuletzt der Herzog.


SCHILLER als er Laura in der Tür erblickt, mit erhobenen Armen ihr entgegen. Laura!

LAURA ablehnend und nach rückwärts ins Zimmer deutend. Still!

SCHILLER bleibt in der Entfernung einiger Schritte stehen.

LAURA halblaut. Mama und Tante sind dicht hinter mir! Folgt ihren Ratschlägen, sie meinen's gut mit Euch.


Generalin und Gräfin treten ein.


GRÄFIN. Laura! Sie winkt sie zu sich, gibt ihr die Hand und weist ihr die Stellung rechts neben sich an. Du darfst Schiller jetzt nicht stören, er braucht all seine Fassung. – Schiller! Ihre Stellung ist hier völlig geändert. Demgemäß müssen Sie handeln. Sind Sie dazu bereit.

SCHILLER. Das bin ich, gnädigste Frau. Bis heute nacht war ich unsicher über meinen Beruf. Jetzt bin ich sicher, und ich werde ihn vertreten bis zum Äußersten.

GRÄFIN. Jetzt muß ich Ihnen selbst dazu raten – es ist nichts mehr übrig als schleunige Flucht.

SCHILLER. Flucht?!

LAURA leise. Flucht!

GENERALIN. Jawohl, sprecht leise!


Pause.


SCHILLER blickt unverwandt auf Laura, welche bittend die Hand faltet und ihn zärtlich anblickt; er macht eine entschieden verneinende Handbewegung. Gnädigste Frau – Sie haben mich mißverstanden. Ich war unsicher und verzagt und dachte an Flucht und Verzweiflung an mir selbst, solange alle Zeichen um mich her verkündeten, ich sei im Irrtum über mein Talent, ich sei unmächtig. Denn wir Poeten sind nur etwas, wenn man uns glaubt und vertraut. Jetzt weiß ich, daß ich Mit halbem Blicke auf Laura. Glauben und Vertrauen finden[271] kann, und jetzt wanke und weiche ich nicht mehr von dem Platze, welchen mir das Schicksal angewiesen.

GRÄFIN. Schiller!

GENERALIN. Da hörst du's!

SCHILLER. Ich fühle jetzt die Kraft in mir, meine innere Welt geltend zu machen gegen alle Hindernisse, ja gegen die mächtigsten Widersacher, und ich fühle, daß ich dazu verpflichtet bin.

GRÄFIN. Nimmermehr!

GENERALIN. O Gott, o Gott!

SCHILLER. Der Baum, welcher verpflanzt wird, kommt in Gefahr zu verdorren. Den heimatlichen Boden muß man behaupten um den höchsten Preis.

GRÄFIN. Unglücklicher! Diesen höchsten Preis verlangt man von Ihm? Das Dasein selbst! Ich weiß es; denn ich habe soeben auf dieser Stelle um Sein Dasein, um das Dasein des Poeten mit dem Herzog gerungen, und ich habe es nicht errungen.

SCHILLER zeigt sich betroffen. – Wie?


Kurze Pause.


GRÄFIN. Verblenden Sie sich nicht, Schiller, durch den Schimmer, welcher eben Ihr Herz erleuchtet. Anderwärts – Auf des Herzogs Zimmer deutend. wächst gerade um dieses Flammenscheins willen der schwarze Schatten nur um so höher. Täuschen Sie sich nicht, weil soeben Ihr Herz weich und nachgiebig ist; das Herz der herrschenden Welt ist darum nicht weniger felsenhart, und die Hand des Herrschers wird darum nur um so schmerzhafter Ihre Brust zerwühlen. Sie sind verloren in diesem Schlosse, in dieser Stadt, im ganzen Schwabenlande, soweit es unter dem Arme des Herzogs liegt, Sie sind verloren, wenn Sie nicht mit Sonnenuntergange von dannen sind.


Pause.


SCHILLER. Kann sein! Ja, es kann eine Lage eintreten, welche mich meiner Pflichten gegen die Heimat entbindet, welche mich zwingt das mir anvertraute Schwert des Poeten, dies Pfand der Götter, zu erretten. Aber noch ist es nicht soweit. Und ich darf, und ich – Auf Laura blickend, welche den Blick erwidert. will nicht weichen, bevor ich das Äußerste versucht.[272]

GRÄFIN. Um Gottes willen nicht!

Schnell.


SCHILLER. Einer mutigen Rede kann es gelingen, dem Herzoge die neue Welt in einen neuen Gesichtskreis zu rücken.

GRÄFIN. Niemals!

SCHILLER. Jedenfalls aber ihm Achtung abzunötigen für eine Zukunft, die ihn verschlingt, wenn er keinen Frieden mit ihr abzuschließen weiß. Frei mütige Wahrheit soll er hören.

GRÄFIN. Das ist Ihr Untergang!

GENERALIN. Seien Sie nachgiebig, Fritz!

LAURA. Zeigen Sie sich versöhnlich, Schiller!

GRÄFIN. Das ist Ihr Untergang.

SCHILLER. Das ist mein Sieg, oder der Inhalt meiner poetischen Absichten verdient keinen Sieg.


Koch erscheint aus der zweiten Tür rechts.


GENERALIN. Wer kommt?

GRÄFIN. Was ist?

LAURA. Was gibt's?

KOCH. Verzeihung, erlauchte Frau, ich suche meinen armen Freund da, um ihm – ich weiß nicht, ob ich hier alles sagen darf?

GENERALIN. Alles, Freund, wir beratschlagen eben, daß er fort müsse, und der hartnäckige Schwabe will nicht –

KOCH. Warum nicht gar! Streicher ist mit allen Vorbereitungen fertig. Der Wagen ist zum Abende bereit, und noch früher. Das heraufziehende Wetter, welches das ganze Tal einhüllt, erleichtert es uns vielleicht, gleich nach dem Aufbruche des Herzogs die Flucht zu wagen. Es wird die Luft verdunkeln, es wird mit Donner und Regen die Wachen in die Häuser treiben, und bis zum Abend hat das fremde Regiment Wimpfen die Wache am Ludwigsburger Tor. Weder Wache noch Wachtoffizier werden dich persönlich kennen, und du passierst unter fremden Namen, Leise zu Schiller. ich gehe mit!

SCHILLER. Ich danke dir, aber ich fliehe jetzt nicht!

GRÄFIN. Unglücklicher!

GENERALIN. Schiller!

LAURA. O Gott, o Gott, was soll ich wünschen!

KOCH. Was fällt dir ein! – Vielleicht nur bis zum einbrechenden Abende ist es möglich. Nur so lange kommandiert Leutnant Kapf die Schloßwache und läßt dir volle Freiheit nach dem[273] Bogengange hinaus und weiter – gegen Abend wird er abgelöst, und dann Ade Flucht und Rettung.

SCHILLER auf Laura blickend, welche trostlos die Hände ringt. Ich kann nicht in diesem Augenblicke, und – Exaltiert. was ihr auch sagt, noch ist eine große Wendung in meine Hand gegeben, auf meine Zunge gelegt, es würde zeitlebens mein Gewissen peinigen, diese Wendung feigen Sinnes gemieden zu haben; ich will und muß den Herzog sprechen, und muß ihn sprechen frei und fröhlich und mutig, wie ein offener Feind, welcher Sieg oder Frieden erzwingt.

GRÄFIN. Welcher Untergang und Tod erzwingt – jetzt gerade bei Seiner törichten Zuversicht, Schiller, ist diese Unterredung tödlich und muß vermieden werden, ich übernehme die Entschuldigung.


Der Herzog tritt ein im Jagdkleide, bleibt an seiner Tür stehn, und betrachtet alle, welche auseinander stieben.


GRÄFIN. Zu spät!

GENERALIN. Nun ist's vorbei!

KOCH. Zum Verzweifeln!

SCHILLER. Das Schicksal entscheidet für meinen Glauben und – Auf Laura hinüberblickend. meine Liebe!

HERZOG zu Koch. Was macht Er hier?!

KOCH. Sire. –

GRÄFIN. Ich hab' ihn gerufen, daß er seinen unglücklichen Freund berate.

HERZOG in die Mitte vorkommend, sieht mit Wehmut auf Laura, dann zu seiner Linken, wo Schiller und die Generalin stehen. Komm zu mir, mein Kind!

LAURA stürzt ihm in die Arme und verbirgt ihr Haupt an seinem Herzen.

HERZOG leise. Armes Kind! Zum Spielball des Glückes in die Welt geschleudert unbedachtsam!

LAURA. Laß dein Herz für mich sprechen!

HERZOG. Mein Herz? – Wär' ich ein Bürgersmann! – Bäbele! Generalin kommt und nimmt Laura aus seinen Armen. Pflege dies Kind, wenn ihm Weh getan wird.

GENERALIN. Das wird Gott nicht wollen –

HERZOG. Ich hab' ihn leider zu vertreten auf dieser Scholle Erde.

GENERALIN. Traget Holz und lasset Gott kochen! sagt ein altes Wort.[274]

HERZOG. Ich trage Holz Mit einer abwehrenden Bewegung. Geht!

GRÄFIN bittend. Karl.

HERZOG. Geht!


Die Frauen links in die erste Tür, Koch rechts in die zweite Tür ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 270-275.
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