11. Hippolyt an Konstantin.

[52] Grünschloß, den 20. Juni.


Mein gehaltreicher Sir John, was hör' ich für Dinge von Euch, Ihr gebt Euch einer wüsten inneren Unordnung hin – was soll das? Befolge eiligst Valers Rat und komm hieher, die Luft der Kuhställe wird Dich heilen. Ein Mann wie Du wird sich doch nicht den Grillen ergeben! Du siehst, ich habe mich auch hier eingefunden, um meinen Geist zu sammeln vom wirren Stadtleben, und ihn vorzubereiten auf größere Wirren, denen ich in Europas Hauptstädten entgegengehen will. Das ist nämlich der Plan zu meinem neuen Epos: zur Physiognomie jeder Hauptstadt will ich einen entsprechenden Körper schaffen, dann will ich sie durcheinander werfen und Situationen erzeugen, und wer die Zivilisation und die Schönheit heiratet, der ist der Held. Komm und beschreib mir Berlin mit der langweiligen Regelmäßigkeit und der kurzweiligen Soldatenspielerei – romantisch darf ich jene dürre Stadt schwerlich anziehen, dazu ist sie zu gesetzt, zu altklug, zu hegelisch; komm, hilf mir den grauen Magisterrock zuschneiden. Und das Herkommen lohnt wirklich der Mühe: der Ort liegt schön, der Graf ist gastfrei, der Ton fessellos, die Damen sind schön, Stoff zur Gallenabsonderung, besonders für Valer ist auch da: ein junger adeliger Laffe, Graf Fips, kam nämlich mit mir an und krächzt den Liebhaber und Aristokraten – was willst Du mehr? Du hast Dich wahrscheinlich gewundert, warum ich die Stadt so schnell verlassen habe, der Du mich dort in schönen Fesseln wußtest. Hast Du Dich wirklich gewundert? Ei, Mylord, wie kennt Ihr mich mangelhaft! Ich dulde keine Fessel, auch nicht die schönste. Wie denken wir doch alle so verschieden über die Liebe. Willst Du wissen wie? Höre! Du liebst den Genuß der Liebe, Leopold liebt die Weiber; Valer, der immer was Besonderes haben muß, liebt[53] die Liebe; William, der Narr, liebt die Gottheit in ihr, und weil er ein christlicher Pedant ist, schwört er zum Monotheismus und verdammt alles andere – ich – ich liebe das Leben. Was mir nicht mehr am Leben ist, werfe ich weg, gleichgültig darüber, ob ich nach der Definition anderer morde. Ich kenne darum auch nicht Valers Pietät gegen das, was er geliebt, alles Tote ist für mich nicht da; ich kenne Leopolds Zärtlichkeit, Überschwenglichkeit nicht, weil ich nur Leben geben will für Leben. Ich schwöre keinem Mädchen Liebe, ich liebe nur. Insofern nähere ich mich Dir zumeist, nur mit dem Unterschiede, daß ich nie mitsterbe, wenn meine zeitige Liebe stirbt, mit platten Worten, wenn eine Liebschaft aus ist, wie es Dir Stümper begegnet. Dem William mit seinem armen Glauben gleiche ich in nichts, als daß ich meinen Monotheismus so sehr erweitert habe, daß die ganze Welt hineingeht, während er bei jenem nur zwei Schuh hoch ist, gerade so hoch nämlich, daß ein Mädchen hineingeht. Valer kann allerdings recht haben, wenn er mich den Kriegsgott der Liebe, wenn er mich den gefährlichsten nennt, der wie der Samum entzünde und töte. Wenn Du dies Glaubensbekenntnis betrachtest, so können Dich meine letzten Ereignisse nicht überraschen. Mein Akt mit der jungen Fürstin, von der ich Dir neulich schrieb, entspann sich folgendermaßen. Ich trat im Theater in die Loge, wo sie saß, ohne sie zu bemerken. Man gab Shakespeares Othello, die Desdemona war ein schönes, liebes Weib, die Tragödie saß mit verschränkten Armen in ihren Augenwinkeln, der Reiz des Unglücks lächelte weinend um ihren Mund. Sie sah mir wie ein schönes Opfer des Lebens aus, wie eine indische Witwe, die mit Wollust im Scheiterhaufen verkohlen will. Fast unverwandt sah sie nach unserer Loge und, wie es schien, auf mich. Plötzlich fiel mir ein, daß ich sie schon gesehen. Auf einem einsamen Wege kam ich neulich zur Stadt geritten, mein Pferd war scheu und unstet, es ging sehr unruhig, ich[54] lasse ihm die Zügel schießen, um seinen Drang nach Freiheit zu stillen. Wie ein rasselndes Gewitter brauste es die Straße einher, eine kleine Strecke vor mir seh' ich plötzlich ein Kind in den Weg hereinspringen, eine Dame mit durchdringendem Geschrei ihm nach, sie will es von der Straße reißen, das Kind sträubt sich, mein Pferd ist schon dicht vor ihnen. War das Kind allein, so setzte ich darüber hinweg, mein Rappe versteht das und beschädigt niemand. Aber die Dame richtet sich auf, ich pariere mit aller Kraft, die mir zu Gebote steht, das Pferd und setze es so fest in den Boden, daß mich der Stoß über den Kopf des Tieres schleudert. Ich stand neben der Dame, die mich mit unbeschreiblich schmerzhaftem Ausdrucke in ihrem schönen Gesichte ansah, sie war wieder halb zusammengekauert und drückte wie schützend das kleine Mädchen in ihren Schoß. Ich hob das liebe Kind, welches sorglos lächelte, in die Höhe, küßte es und gab es der schönen Mutter in die Arme. Sie war außer sich vor Bewegung, sah mich mit weiten Augen wie ein durstiger Himmel an, griff hastig nach meiner Hand und bedeckte sie mit Küssen. Ich erwehrte mich dessen kaum – das heiße Wasser stand in ihren Augen; erregt stieg ich wieder auf mein Roß, winkte ihr Lebewohl und flog davon. Dieselbe Dame – ich erkannte sie jetzt genau – war die Desdemona.

Ich sah unverwandt hin und bemerkte es nicht, daß mich die Fürstin fortwährend fixierte, daß ihr Bruder, den ich einige Male an der Pharaobank und in liederlichen Häusern gefunden, mich zu begrüßen versuchte. Als ich dessen inne ward, fertigte ich ihn kurz ab und verwies ihn auf das schöne Spiel der schönen Schauspielerin. Seine Schwester winkte ihm, und nach dem ersten Akte stellte er mich ihr vor. Ich war zerstreut und sprach wie eine Seite der Abendzeitung in langweiligen Aphorismen, die Blicke immer auf den Vorhang heftend. Sie fragte boshaft, ob ich so sehnsüchtig auf die Desdemona wartete. Ich sah sie lange freundlich an[55] und sagte lächelnd: »Ja.« Es zuckte etwas über ihr Gesicht, und sie wendete den Kopf hinweg. Jetzt erst fiel mir ein, daß ich doch wohl etwas unartig sei. – Das Profil der Fürstin betrachtend, versank ich aber doch wieder in ein behagliches Träumen. Sie ist blond und hat die schönste weißeste Haut, die ich je gesehen. Das Gesicht ist vornehm und edel, braune Augenbrauen und lange gleichfarbige Wimpern beschatten ein dunkles verlangendes blaues Auge, das in seiner heißzonigen Art wunderlich heißzonig absticht gegen das Nördliche, Unschuldsvolle des übrigen Gesichts, dessen feine, fast unmerklich aufgestutzte Nase keck und leichtsinnig aussieht. Der kleine Mund ist zum Küssen herausfordernd mit seinen quellenden Lippen, der Körper ist voll und üppig. Sie trug einen blausammtnen Reitrock, der am Busen geöffnet war, und unter weißer Chemisette, dessen erster Knopf sich gelöst hatte, zeigte sich eine schneeweiße, kühn und gesund gewölbte Brust zum Teil ohne Hülle dem fragenden Blicke. Ihre Gedanken schienen sich zu erhitzen, sie ward rot und die Brust ward rascher. Plötzlich wendete sie sich zu mir und fragte mich, warum ich sie unverwandten Blickes ansehe. Ich lachte und versicherte ihr, ich sei ein Physiognomiker, der Charaktere studiere und bei den interessantesten natürlich am längsten verweile.

Ich war zwischen ein doppeltes Leben eingedrängt. Desdemona kam wieder und sendete mir befruchtende Lichtstrahlen, die Fürstin erwärmte wie Maiensonne. Ich habe lange nicht so viel gelebt als an jenem Abende. Der Fürst kam dazu und wollte meine Familie und ihren Stammbaum in Spanien kennen, er schwatzte viel unnützes, genealogisches Zeug; ich versicherte ihm, daß ich ein Bastard, von einer armen Baskin geboren, und nur aus Mitleid angenommen und mit meinem jetzigen Namen beschenkt sei. Er lächelte, meinte, ich sei ein schnurriger Kauz, und ich solle ihm meine Aufwartung machen. Die Fürstin warf dazwischen, ich würde[56] wohl keine Zeit haben; der Fürst fragte, womit ich mich beschäftige. Ich dichte, antwortete ich. Sonst – fuhr er fort – sonst, nahm ich seine Rede auf, studier' ich die chinesische Geschichte, wegen der schwierigen Stammtafeln. Sie sind Historiker? – Nur mit dem interessantesten Teile der Geschichte, mit der Genealogie und Heraldik beschäftige ich mich. Jetzt schien er's zu glauben, nur die Fürstin schüttelte leicht das Köpfchen und lächelte. Ich weiß alle guten Familien von Nebukadnezar herunter – fuhr ich fort. »Hatten denn die Alten auch Wappen?« – O ja, sie trugen sie an den Schwertknöpfen und die Urvölker an den Häuptern, über welche sie Tierhäupter zogen. »Was halten Sie von Shakespeare und dem Othello?« warf die Fürstin dazwischen. Wenn ich eine Frau wäre, entgegnete ich, würde mir die Desdemona nicht gefallen, weil sie der ausgeprägteste Typus von weiblicher Ergebenheit ist, und ich hasse als Mann die Ergebenheit; sie ist wie ein rührendes Lied; man muß das Lied lieben, ich liebe aber auch gern den Dichter des Liedes. Vom Dichten ist aber nichts an ihr, sie ist nur gedichtet, sie ist durch und durch Passivum – sie ist nur Träne, darum ein reizendes Weib; der Mann liebt aber den Schmerz mehr als die Träne. Sie ist zum Sterben, zum Vergehen liebenswürdig, der Mann braucht aber weniger Todesmut als Lebensmut; Sterben ist leichter als Leben. Aber sie ist so verführerisch weiblich liebenswürdig, daß man mit ihr sterben möchte, und dies ist ihr einziges Unrecht. Ihr Vater, Shakespeare, aber ist ein braver Mann. – »Ein wenig roh,« setzte der Fürst hinzu. – Beefsteak, Durchlaucht, Beefsteak – und die Natur ist nicht für alle anständig, der Herrgott hat die Etikette nicht erfunden. Der Mann mit den Sternen auf der Brust schwatzte noch viel albernes Zeug, ich sagte ihm noch dreimal, daß er recht habe, dann schwieg ich, legte mich an den Pfeiler und litt mit des Mohren Weib. Zwei Striche für Jago, und er ist der stärkste Engel. Shakespeare[57] hätte den Raffael übertreffen können, der mit zwei Strichen Weinen in Lachen verwandelte. Es ist die fürchterlichste Potenz von menschlicher Kraft in diesem Jago – Shakespeare muß ein starker Mensch gewesen sein, sonst hätte er nie einen Jago zeichnen können. Es ist die verzeihlichste Schwäche, einen großen Menschen anzubeten, ich verzeihe darum gern der Welt die Tändeleien mit dem dogmatischen Christentume – wenn mich Shakespeare nicht umarmen wollte, so würde ich seine Füße küssen. O Gesundheit! du Seele der Welt, warum hast du die Poeten verlassen? Ich danke der Geschichte nur für zwei Bücher, die sie gerettet, für den gesunden Homer und den gesunden, strotzend gesunden Shakespeare.

Alles war tot; ich vergaß das Fortgehen. »Ich hoffe Sie mehr zu sprechen« – hörte ich neben mir und gewann kaum Zeit, der fortrauschenden Fürstin mich zu empfehlen. Die Nacht und den andern Tag hatte ich für niemand Zeit. Shakespeare war bei mir, ich hielt Tür und Fenster verschlossen. An Desdemona hatte ich viel geschrieben. Am zweiten Morgen hatte ich die schönsten Antworten. So hatte ich mir das reizende Weib gedacht, jede Zeile war Poesie, war Herzblut. Aber ein resignierendes Opfergeschöpf war sie und blieb sie wie Othellos Weib. Ihre Liebe versprach eine grausame Wollust zu sein. Die Keime des Todes streckten ihre Spitzen aus jedem Gedanken. Ich fühlte ein inniges Erbarmen mit ihr und konnte sie nicht sehen, sie verlangte es auch nicht, aber wir schrieben uns fleißig. Ihr Mädchen, das mir die Briefe brachte, hatte einmal auch das kleine liebe Kind mit sich, ich spielte einen ganzen Vormittag im Sonnenscheine meines Zimmers mit dem kleinen Dinge. »Du bist wohl ein großer Herr, meine Mutter erzählt mir, daß du mit der Prinzessin sprichst,« lallte das kleine harmlose Geschöpf und erinnerte mich zu ihrer Mutter Nachteil, daß ich noch nicht bei der Fürstin gewesen.

Ich fuhr hin, das schöne Weib tat anfänglich stolz, sie[58] war verletzt durch meine Nichtachtung, Ungezogenheit. Sie ist klug und sehr unterrichtet. Wir sprachen über unsere Literatur. Das Gespräch wurde warm, ja, es ward üppig, als wir auf Goethes Elegien kamen. Es überraschte mich äußerst angenehm, ein Weib so ganz ohne Prüderie zu finden; sie sprach keck wie eine Griechin von ihrem Entzücken über die Darstellung jener italischen Szenen. – –

Eben empfange ich Deinen Brief, erlaube, daß ich ihn erst lese, ehe ich weiter schreibe.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 52-59.
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