[41] Den andern Morgen schien die Sonne; das trübe Wetter hatte sie bisher immer verborgen. Sie brachte Mut in das schwer gedruckte Herz des deutschen Freiwilligen. Die Sonne hat wirklich ein wunderbares Belebungselement für die sinnenden Menschen, die in lauter Gedanken das Leben hindurchklettern und jener körperlichen Anregung zur Freude entbehren, welche die stumpfe Masse und die eigentlich glücklichen Menschen zu Lust und Jauchzen stachelt. Valerius gehörte nicht zu diesen letzteren, und er verehrte darum die Sonne wie ein Peruaner; sie war ihm das wirkliche Auge des Himmels, und Gott und der Himmel waren für ihn der Begriff von eitel Schönheit, Freude und Glück.
Es war ihm aber auch dieser Trost nötiger als je, es tat ihm mehr als je not, ins Auge, in die Seele der Welt hineinzublicken. Er befand sich auf jenem traurigen Standpunkte menschlicher Entwickelung, wo der graue Zweifel, die[41] aschfarbene Ungewißheit Herz und Geist anfüllt, wo bei leidenschaftlichen Menschen die Verzweiflung ausbricht, bei ruhigeren aber jene tötliche Gleichgültigkeit des Unbehagens. Sogar die Vergangenheit war ihm verleidet: sein eigenes sicheres, abgemachtes Wesen, das ihn früher ausgezeichnet hatte, war jetzt seiner Erinnerung ein Greuel. Abgeschmackt, eitel, töricht erschien ihm diese knabenhafte Sicherheit, dies ganze gesetzte Wesen, das ihm stets ein so großes Übergewicht unter seiner Umgebung eingeräumt hatte.
Und doch waren es nicht jene Freiheitsgedanken an sich, die er jetzt bezweifelte; es waren die Verhältnisse im großen, die allgemeinen historischen Entwickelungen, die ihm den Geist mit Dämmerung bedeckten. Er ahnte das Tausendfältige der menschlichen Zustände, die tausendfältigen Nuancen der Weltgeschichte, die millionenfachen Wechsel in der Gestalt eines Jahrhunderts und in der Gestalt seiner Wünsche und Bedürfnisse. Er sah die Armut des menschlichen Geistes, der reformieren will, neben dem unabsehbaren Reichtume, der unendlichen Mannigfaltigkeit dieser Welt und ihres verborgenen ewigen Gedankens. Wie ein Prisma schimmerte ihm aus dem Dunkel seiner Seele jener ewige Gott der Welt mit seinen Farben. Und dies Gefühl der Schwäche, daß er nicht eine einzelne bestimmte Farbe herausblicken konnte, das Gefühl der Ohnmacht, sie nicht im Geiste alle vereinigt halten zu können, dies Gefühl der menschlichen Beschränktheit drückte ihn zu Boden.
Es gibt Menschen, welche zu stolz sind, einen Schritt weiter zu gehen, bevor sie das Ziel genau kennen, auf welches sie losschreiten. Zu diesen gehörte Valerius. Er glaubte noch an all seine früheren Gedanken, aber sie erschienen ihm jetzt unvollkommen, Anfänge der Bildung.
Das sind die trostlosesten Momente im Leben, wo wir den Fuß erhoben haben von einer früheren Entwicklungsstufe, und noch keinen neuen festen Boden unter uns fühlen. Wir sehen[42] mit Schrecken, wie tief jene Stufe noch gelegen, wir erinnern uns mit Scham, wie weit wir uns schon vorgeschritten glaubten, als wir auf. jener Stufe standen, und der Gedanke zerknirscht unser stolzes Herz, daß wir beim nächsten Ruhepunkte wieder in denselben Irrtum verfallen, und uns für fertig, für vollendet halten werden. Wir sehen ängstlich fragend zum Himmel: Wo ist das Ende, wo ist der Gipfelpunkt des Menschen? Aber der blaue Himmel ist endlos für das menschliche Auge, und wenn wir noch so hoch gestiegen sind, wir wissen's nicht, ob es höher Stehende gibt, die uns verlachen. Da bricht das Herz, und wir greifen nach jener Milde und Toleranz für andere, damit wir Versöhnung in das Leben bringen.
Valerius seufzte tief auf nach solchen Gedanken und sah schmerzlich lächelnd in die Sonne: »Nun denn, du mildes Licht, ich will eben weiter gehen, und jeder deiner Strahlen soll mir Mut verleihen.« Es war ihm sanft zu Sinne, als habe er sich recht ausgeweint, und er ging leichten Schrittes in den Hof hinunter, um einen Ritt ins Freie zu machen. Er wollte mit der Sonne schwelgen. Magyac war nicht zu sehen; als wieder rüstig gewordener Soldat ging er nach dem Pferdestall, den litauischen Gaul selbst zu satteln, den ihm der Graf geschenkt hatte.
Zu seinem Erstaunen fand er das Pferd schon gesattelt, sogar schon aufgezäumt. Beim Umherblicken bemerkte er, daß alle übrigen Gäule ebenfalls angeschirrt und zum Ausreiten bereit waren.
In geringer Entfernung von ihm legte Magyac eben dem letzten noch übrigen Tiere einen alten Kosakensattel auf; Cölestin stand neben ihm an die Pfoste gelehnt, und Valerius hörte bald, daß sie in einem lebhaften Zwiegespräch begriffen waren. Beide kehrten ihm den Rücken zu, und hatten ihn nicht gesehen.
»Und was wird's euch helfen, ihr Tellerlecker, wenn's glücklich ausgeht,« sagte Magyac, »was? Für 'nen dummen Herrn bekommt ihr einen klugen?«[43]
»Besser einen, als zwei!« erwiderte Cölestin.
»Besser gar keinen!«
»Das geht nicht, dummer Bauer, Herrschaft muß sein.«
Magyac lachte, hielt einen Augenblick inne im Schnallen des Sattelgurtes und sah vor sich hin, als besänne er sich auf etwas, dann sprach er schnell: »Dem Graf ist einer der schlimmsten – er schlägt die Woche siebenmal nach dir, und schenkt dir's ganze Jahr nicht einen Schluck.«
»Dafür nehm' ich mir alle Stunden einen.«
Cölestin zog bei diesen Worten eine kleine Flasche aus seiner kurzen abgetragenen Kutka, stemmte sie fest unter seinen Schnurrbart, legte den Kopf tief in den Nacken und tat einen langen Schluck. Darauf schüttelte und räusperte er sich, gleich als ob ihm der Trunk entsetzlich vorkäme, und reichte dem Magyac die Flasche. Valerius belächelte diese Säufermanier und stellte sich hinter einen hohen Futterkasten, um dem Gespräche weiter zuzuhören, wenn sich Magyac etwa beim Zurückgeben der Flasche umkehren sollte.
»Wie lange dienst du dem Grafen schon?«
»Länger als du Grünschnabel pfeifen kannst – im sechsunddreißigsten Jahre.«
»Da hast du Kosciusco noch gesehen?«
»Alle Tage.« Und dabei nahm er seine Mütze andächtig vom Kopfe und murmelte etwas vor sich hin.
Magyac hatte sich bei der Frage umgewendet und sah ihn mit blitzenden Augen an.
»Kosciusco hat nie einen Polen geschlagen – weißt du das?« Und dabei fing er das alte Volkslied an »Noch ist Polen nicht verloren«, und wenn er an den Refrain kam, »Kosciusco führt uns an«, da zwickte und kitzelte er das Pferd, daß es wieherte und hinten und vorn ausschlug, und je mehr es lärmte, desto stärker sang er.
»Hatt' es der Schmied gestern eilig?« fragte Cölestin nach einer Weile.[44]
»Jawohl, die Hunde zotteln wie die Wölfe überall herum, sie hungern!«
»Nun, zu packen habe ich nicht viel, das silberne Tischzeug ist schon lange in Warschau, meinetwegen können sie jede Stunde kommen, 's ist mir nur um die gnädige Gräfin –«
»Ist's denn wahr, Cölestin, daß König Stanislaus in sie verliebt gewesen ist?«
»Es ist die beste Polin von der Warthe bis an den Dniepr, du naseweiser Lümmel.«
»Ich weiß, ich weiß, Alter. Laß uns noch eins trinken. Solange der Schmied ein Paar Augen im Kopfe hat und seine großen Fäuste auf die Flinte legen kann, sind ihre weißen Haare in Sicherheit. 's wird ein lustiges Jahr, du krummer Schimmel, und 's werden viele Franzosen traurig werden, die unsere Kutka nicht mehr tragen mögen. Gib her, du langer Saufaus, ich will eins auf den alten Krukowiecki trinken.«
In diesem Augenblicke hörte man Cölestin rufen. Er steckte eiligst die Flasche ein, wischte sich den Schnurrbart ab, hauchte schnell einigemal in die Luft, und machte sich eiligst davon.
»Vergiß nicht, Alter, heut' abend wegen des Feuers,« rief ihm Magyac nach.
Valerius ging jetzt nach dem Stande seines Pferdes und machte Geräusch, als ob er eben erst in den Stall trete. Magyac kam eiligst herbeigesprungen und bat ihn, heute noch nicht auszureiten. Valerius fragte ihn nach der Ursache dieser Bitte. Der junge Pole meinte, des Herrn Kopfwunde sei noch nicht so weit.
»Possen,« sagte dieser, und griff nach dem Zaum.
»Die Gegend ist unsicher, es reiten Russen durch die Wälder, Herr.«
Valerius zog das Pferd hinter sich fort, der Stalltüre zu.
Magyac kratzte sich verdrießlich in den Haaren, endlich als jener den Fuß in den Steigbügel setzte, kam er eiligst[45] hinzugesprungen: »Herr, reitet nicht, der Schmied von Wavre ist dagewesen.«
»Wer ist der Schmied von Wavre?«
»Ein Pole, Herr.«
In diesem Augenblicke ward ein Fenster im Schlosse geöffnet, und Joel rief hastig herunter, der Herr Graf ließe Valerius bitten, eiligst zu ihm zu kommen. Hedwig öffnete den anderen Fensterflügel und winkte ihm heftig. Es blieb ihm keine Zeit, nähere Aufklärung von Magyac zu erfahren, und dieser hatte nichts eiliger zu tun, als das Pferd wieder in den Stall zu ziehen.
Valerius fand ein lautes Leben im großen Saale. Kutscher und Pferdeknechte trugen allerlei Waffen herbei und stellten und legten sie neben den Stuhl des Grafen und auf den Tisch, der vor ihm stand; Cölestin öffnete Weinflaschen, der Kutscher lud die Doppelflinte mit Kugeln, Hedwig tanzte singend herum, der Graf herrschte den Leuten allerlei Befehle zu. Selbst Joel lud Pistolen; nur die alte Gräfin saß wie immer in ihren schwarzen Gewändern unbeweglich auf der Stelle, wo sie alle Tage saß; ihre Augen sahen gläsern und unbeweglich auf all die Dinge und schienen nichts zu bemerken.
»Sie müssen zu Hause bleiben, Herr von Valerius,« rief der Graf, »der Teufel ist los. Wir müssen einen Überfall gewärtigen, es sind russische Streifkorps in der Nähe; Graf Stanislaus, den ich schon seit mehreren Tagen erwarte, kommt nicht. Er wollte uns mit einem Trupp Ulanen nach Warschau eskortieren, da er für unsere Sicherheit fürchtete. Vielleicht ist sein Trupp zu klein gewesen, und er ist abgeschnitten von uns, vielleicht hält er auch die Gefahr nicht für so dringend, kurz, wir sind unserem Mute überlassen.«
»Wer sagt denn aber, daß die Gefahr so nahe sei? Es ist durchaus nicht wahrscheinlich, daß – «
»Ei, den Teufel auch, der Schmied von Wavre ist heute nacht dagewesen.«[46]
»Aber wer ist denn dieser –«
In dem Augenblicke hörte man das schnelle Wechseln mehrerer Flintenschüsse im nahen Walde.
»Auf eure Posten, ihr Schurken,« schrie der Graf, und die Bedienten flogen zur Tür hinaus. Valerius trat ans Fenster und sah alles, was von Knechten und Bedienten im Hause war, mit Waffen, meist Jagdflinten, an allerlei Verstecke eilen und sich postieren. Thaddäus Magyac stand an die Pfoste der Pferdestalltür gelehnt und sah unverwandten Blickes nach dem Walde. Des Grafen Stuhl und Tisch wurden nach dem Fenster hingerückt, damit er die ersten Kugeln in die Weite senden könne. Joel war zu demselben Zwecke ans zweite Fenster getreten; Valerius ans dritte postiert. Cölestin stand zum Laden am Tische und hatte einen großen Haufen Patronen vor sich ausgebreitet. Der Graf bat seine Mutter, nach ihrem Zimmer zu gehen, sie schüttelte aber den Kopf und blieb unverrückt in der alten Stellung. Hedwig, der ein gleiches anbefohlen wurde, erklärte, daß sie die Großmutter nicht verlassen wolle, und es träfen nicht alle Kugeln. Der Graf stieß einen Fluch aus und lachte hinterdrein; Joel machte eine bittende Bewegung nach Hedwig hin, sie trotzte ihm aber mit einem halb bösen Gesicht und sprach halblaut, wie die kleinen Kinder gewöhnlich sagen: »Ich will aber nicht!« – Da schien es, als flöge ein Schatten ungewöhnlichen Lebens über das Gesicht der alten Gräfin, und als zucke ein schneller Strahl aus ihren sonst sprachlosen Augen über Joel hin. Sie griff hastig nach der Hand Hedwigs und zog sie zu sich nieder.
Es trat eine erwartungsvolle Stille ein, die wohl eine Viertelstunde lang anhielt – nun hatte aber die Spannung dem leichtsinnigen Volkscharakter zu lange gedauert, der Graf schlug ein lautes Gelächter auf, griff nach einer Weinflasche, rief dem Thaddäus zu, in den Wald auf Kundschaft zu gehen, und bat Valerius, mit ihm zu frühstücken. Man schloß die Fenster, und das Leben des Tages ging weiter, als wäre[47] man in der größten Sicherheit. Der Graf trank mehr als gewöhnlich und schickte beim Abendessen Cölestin in den Keller, um Champagner zu holen. »Die kleine Hedwig,« sagte er, »hat sich heute so tapfer bewiesen, sie trinkt gern ein Glas Champagner, sie muß ihr Siegesfest feiern.« Hedwig klatschte in die Hände, sprang zum Vater hin und küßte ihn – eine seltene Erscheinung in ihrem Wesen. »Papa,« sagte sie mit mutwilliger Stimme, und drehte mit den weißen Händen seinen dunkeln Schnurrbart, »laß mich Soldat werden.« – Der Graf lachte, antwortete aber dem Valerius, welcher unterdes seinen gestrigen Versuch mit dem Kamin erzählt hatte und ihn wiederholen wollte. Hedwig sprang fröhlich zu dem Vorschlage über, ein Bedienter ward sogleich beordert, und in wenig Minuten loderte ein lustiges Feuer auf. Eben kam Cölestin mit den Flaschen, sah mit großer Bestürzung nach der lodernden Flamme und flüsterte eiligst dem Grafen etwas ins Ohr. – »Halt's Maul, alter Narr, und mach den Draht von der Flasche.« – Cölestin zog sein Augenlid einmal ganz in die Höhe und schoß einen stechenden Blick auf Valerius. Dieser freute sich indes mit Hedwig und Joel des Feuers; der Champagner spritzte, man trank auf die Befreiung des Vaterlandes, und es war ein wunderlicher Anblick, wie die Flamme über die Mordgewehre und lustigen Gesichter hinlief und von der alten düsteren Gräfin abzuprallen schien, welche dem Feuer den Rücken kehrte und nach den Fenstern hinstarrte, hinter welchen die Nacht lag. Joel, den der Wein aufgeregt hatte, sang mit Begeisterung ein altes polnisches Schlachtlied, und selbst der halbtrunkene Graf schien der sonoren Stimme und der alten herzergreifenden Melodie mit großem Anteil zuzuhören, das vaterländische Interesse war unverletzt, ja sogar poetisch in ihm erhalten. »Schade, Joel,« sagte er am Schluß des Liedes, und stürzte ein volles Glas hinunter, »schade, Joel, daß du ein Jude bist.«
Wie ein Schwertschlag traf dies Wort drei Herzen: Joel[48] zitterte am ganzen Leibe, Valerius fühlte sich von Scham- und Zornesröte übergossen, und aus Hedwigs Augen tropften große Tränen. Da flog Thaddäus wie ein Pfeil in den Saal: »Sie sind da, Herr – das unnütze Feuer hat sie gelockt,« und damit riß er dem Cölestin ein feuchtes Tuch aus der Hand, womit dieser den überfließenden Wein aufgetrocknet hatte, und warf es auf das Kaminfeuer, daß es zur Hälfte erlosch. »Dreister Schurke,« rief der Graf und hob die Hand nach ihm aus, Magyac wich auf die Seite und stieß dabei Cölestin in die Rippen: »Schafskopf,« vor sich hin murrend, »nicht mal soviel nütze.« Er riß das Fenster auf, warf die nächsten Lichter um, und nahm die Büchse, die er fortwährend in der Hand gehalten hatte, an den Backen. Das war alles ein Augenblick, und wirklich krachten zwei, drei Schüsse ganz in der Nähe, die Fenster klirrten, die Kugeln schlugen in die Decke des Saales, ein wildes Hurra drang herauf. – Valerius löschte schnell das Kaminfeuer vollends, es ward einen Augenblick finster im Saale, nur auf die den Fenstern gegenüberliegende Wand fiel ein lichter Streifen von einem brennenden Licht, das Cölestin hinter den Ofen postiert hatte. Schüsse und Geschrei von unten wuchsen. Die Leute des Grafen begannen aus Ställen und von Böden herunter ein sicher treffendes Gegenfeuer; der Mond kam herauf und beleuchtete den Raum vor dem Schlosse und den Saal. Überrascht durch den unerwarteten Widerstand sammelte sich das russische Streifkorps – denn ein solches machte den Überfall – und hielt einen Augenblick an. Sie mochten etwa noch hundertfünfzig Schritte entfernt vom Schlosse sein, und man konnte sie beim Schimmer des Mondes von dort genau übersehen. Die baufälligen, schlechten Ställe und Wirtschaftsgebäude befanden sich zur linken und rechten Hand des Schlosses und ließen die Aussicht nach dem Walde frei. Man erkannte leicht, daß es eine gemischte Truppe war, nicht eben zahlreich, aber doch der[49] Mannschaft des Schlosses um das Doppelte überlegen. Sie war nur zur Hälfte beritten, einige Kürasse und Lanzenspitzen flimmerten in der Luft, hie und da sah man ein Bajonett. Während des kurzen Stillstandes schienen sie auf jemand zu warten; wirklich sprengte auch ein schwerer Reiter herzu, man hörte einige kurze, herrische Worte, und die Truppe setzte sich eben in Bewegung. Da begann Thaddäus jenes durchdringende Pfeifen, das ganz den scharfen Tönen einer Drossel glich, wenn sie einsam im Walde ihre Stimme erhebt – auf allen Böden, in allen Stalltüren ward es wiederholt. Wie vom Blitz getroffen hielt der Feind inne. – »Der Schmied, der Schmied,« ging's von Munde zu Munde – jetzt knallte der Schuß des Thaddäus, und jener schwere Reiter, welcher der Anführer zu sein schien, knickte vorn über den Hals des Pferdes herab. Dadurch wurde jener zweifelhafte Zustand aufgelöst; die Russen, welche vor einer verborgenen Macht besorgt zu sein schienen, stürzten jetzt in wildem Sprunge auf das Schloß zu; die Polen, welche jenen geheimen Schrecken benutzt hatten, um ihrer Lage irgend eine andere Wendung zu geben, brannten nun auch all ihre Schüsse ab, und die meisten schlugen sicher in die heranstürmende Masse. Die schlecht verwahrte Haustür gab den Belagerten nur soviel Zeit, frisch zu laden, die Tür des Saales mit Stühlen und Tischen zu verrammeln, und die außen versteckten Polen konnten noch einige gut gezielte Schüsse teils unter die Belagerer schicken, teils nach den unvorsichtigen Russen richten, welche sich einzeln nach den Ställen wagten, um ein Pferd zu erbeuten.
Natürlich ging das alles rascher, als es erzählt werden kann; die Schritte, die Schüsse und Tod und Wunden flogen. Und in all dem Lärmen saß die alte Gräfin regungslos an ihrer alten Stelle, der bleiche Mondesschimmer zitterte über ihr steinernes Gesicht hin; nur wenn ihr Sohn seinen wilden Jubel ob eines frisch getroffenen Russen aufschlug, da schien[50] es, als schlüge ein Funke aus ihren starren Augen. Hedwig lief hin und her, um Patronen zuzutragen. Joel flüsterte ihr leise etwas zu, und deutete auf die alte Balkontür, es schien aber nicht, als ob sie etwas erwidere.
Die Haustür war gebrochen, der Schwarm stürzte die Treppe herauf, ein Schuß fuhr durch die Tür, und man hörte ihn noch durch die gegenüberstehende Tür des Saales dringen. Die gewaltige Wucht von mehreren Kolben flog an das Schloß, und stöhnend sprang es auf. Der Graf hatte sich in die Schußlinie rücken lassen, die drei übrigen Schützen standen neben und hinter ihm, nur zwei Schritt seitwärts saß die alte Gräfin; umsonst schrie ihr Sohn, umsonst zerrte Hedwig, sie saß noch unbeweglich, als man die gierigen Augen der Feinde erblickte. Vier Schüsse drängten sich von innen mit tödlicher Hast durch die enge Pforte, die Vordersten stürzten, und Cölestin harrte mit gespannter Pistole an der Mauer neben der Tür, um den ersten Eintretenden niederzustrecken. Eine augenblickliche Pause trat ein; Valerius glaubte während der letzten Salve ein Geräusch hinter sich gehört zu haben, er warf einen schnellen Blick herum, eine breite Gestalt stand hinter ihm, die Balkontür lag an der Erde, von allen Seiten hörte man jenes schrillende Pfeifen, »der Schmied von Wavre«, schrie alles durcheinander.
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